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Aussichtsschutz
rei. Welche Möglichkeiten
stehen einem Grundeigentümer offen, wenn seine Aussicht durch die vom
Nachbar gepflanzten Bäume beeinträchtigt wird? Oft wird der Wunsch
nach deren Entfernung geäussert, wobei sich der Grundeigentümer in
erster Linie auf die nachbarrechtliche Bestimmung von Art. 684 ZGB
(Zivilgesetzbuch) stützt, nach welcher jedermann verpflichtet ist, sich
bei der Ausübung seines Eigentums aller übermässigen
Einwirkungen auf das Eigentum des Nachbarn zu enthalten. Eine
übermässige Überschreitung des Eigentums löst die
Grundeigentümerhaftung des Art. 679 aus; der durch solche
Überschreitungen Geschädigte kann gegenüber dem
Grundeigentümer auf Beseitigung der Schädigung oder auf Schutz gegen
drohenden Schaden und auf Schadenersatz klagen.
Nach Lehre und Rechtsprechung handelt
es sich bei der vom Grundeigentümer geltend gemachten
Beeinträchtigung der Aussicht um eine sogenannte negative Immission. Ob
Art. 684 ZGB auf derartige Tatbestände überhaupt anwendbar ist oder
ob diese ausschliesslich dem in Art. 686 ZGB vorbehaltenen Privatrecht sowie
dem öffentlichen Baurecht der Kantone unterstehen, ist eine viel
erörterte Streitfrage. Gegen die Anwendung von Art. 684 ZGB auf
negative Immissionen werden hauptsächlich drei Argumente ins Feld
geführt: Erstens betreffe diese Bestimmung nur Einwirkungen, die
von einem Grundstück ausgehen und das andere beeinträchtigen.
Zweitens stützt man sich auf die Randnote des Art. 684 ZGB
(«Art der Bewirtschaftung»), woraus klar hervorgehe, dass diese
Bestimmung nicht von der Beschaffenheit des Grundstückes handle, sondern
die Art und Weise der Benützung des Grundstückes umschreibe. Ob und
wie gebaut oder gepflanzt werden dürfe, sei aber eine Frage der
Beschaffenheit des Grundstückes, und diese Frage sei durch Art. 686 oder
688 ZGB der Ordnung des kantonalen Privatrechtes vorbehalten. Der Kanton
Zürich hat von dieser Befugnis Gebrauch gemacht und in §169 ff.
EGzZGB (Einführungsgesetz zum ZGB) eine mehr oder weniger abschliessende
Regelung der beim Pflanzen von Bäumen und Sträuchern einzuhaltenden
Grenzabstände getroffen. Drittens würde die
uneingeschränkte Subsumtion der durch die Existenz von Bauten
hervorgerufenen Immissionen unter Art. 684 ZGB zu unbefriedigenden Resultaten
führen, wäre es doch für den Grundeigentümer, der sein
Gebäude im Vertrauen auf das kantonale Baurecht erstellt hat, unzumutbar
und würde es zur Rechtsunsicherheit führen, wenn die Beseitigung der
Bauten verlangt werden könnte. Bei negativen Immissionen von Bauten
wäre daher nach einer Lehrmeinung aufgrund von Art. 684 ZGB nur eine
Präventivklage oder, falls die Baute schon erstellt ist, ein
Ausgleichsanspruch in Geld zu gewähren. Eine andere Lehrmeinung
vertritt die Ansicht, die öffentlichen und privatrechtlichen
Schutzbestimmungen vor Licht-, Luft- und Aussichtsentzug seien durchaus
ausreichend, so dass ein weiterer Anspruch gemäss Art. 684 ZGB gegen den
Bauenden zu weit gehen würde. Dagegen will diese Lehrmeinung negative
Immissionen, die von Bäumen ausgehen, nach Art. 684 ZGB beurteilt wissen,
da zu berücksichtigen sei, dass die Einwirkungen, die von Pflanzen
ausgehen, nicht immer die gleichen seien. Durch das Wachsen könnten die
Einwirkungen ständig zunehmen, weshalb unter Umständen die
kantonalrechtlichen Abstandsbestimmungen zum Schutz des Nachbarn nicht zu
genügen vermöchten. Auf jeden Fall ist eine Einwirkung im
Sinne des Art. 684 ZGB nur dann widerrechtlich, wenn sie übermässig
ist. Der Nachbar muss also grundsätzlich jede Einwirkung dulden, wenn sie
nicht ein gewisses Mass übersteigt. Die für die Abgrenzung zwischen
zulässigen und unzulässigen Immissionen entscheidende Intensität
der Einwirkung beurteilt sich dabei nicht nach subjektiven, sondern nach
objektiven Kriterien. Der Richter hat demnach eine objektive Abwägung der
beidseitigen Interessen vorzunehmen. Er darf nicht auf das spezielle
persönliche Empfinden des Betroffenen abstellen, sondern muss seiner
Beurteilung dasjenige des normalen Durchschnittsmenschen, der sich in der
gleichen Situation befindet, zugrunde legen. Objektivität bedeutet aber
nicht, dass für die Frage der Übermässigkeit ein allgemeiner
Massstab angelegt werden könnte. Das Gesetz verpflichtet in Art.
684 Abs. 2 ZGB ausdrücklich zur Beachtung der Lage und
Beschaffenheit der Grundstücke und des Ortsgebrauches. Schon diese Momente
können von Fall zu Fall ein ganz unterschiedliches Gepräge haben.
Letztlich ausschlaggebend ist für die richterliche Entscheidung eben stets
die konkrete Interessenlage im Einzelfall. Eine Berufung auf
Art. 2 ZGB, wonach das Stehenlassen der Bäume
rechtsmissbräuchlich sei, erweist sich als nicht stichhaltig.
Rechtsmissbrauch liegt vor, wenn die Ausübung des Eigentumsrechts
lediglich in der Absicht, den Nachbarn zu schädigen, also als Schikane,
erfolgt und damit kein des Rechtsschutzes würdiger Zweck verfolgt wird.
Innerhalb der Schranken des Eigentums und der allgemeinen Schranken des
Art. 2 ZGB ist dagegen das Interesse des Baumeigentümers am
Bestand seiner Bäume massgebend. Die Beurteilung der Richtigkeit und
Zweckmässigkeit der Pflanzungen ist dem Richter entzogen. Im übrigen
besteht die Vermutung eines Interesses des Baumeigentümers am Bestand der
den Vorschriften über die Grenzabstände entsprechenden Bäume.
Zudem ist auch hier zu beachten, dass der Gesetzgeber mit der im EGzZGB
getroffenen Regelung über die Grenzabstände von Pflanzungen bereits
eine Abwägung der nachbarlichen Interessen vorgenommen hat. Ob
künftig das Bundesgericht seine ablehnende Haltung gegenüber der
Anwendung von Art. 684 ZGB auf negative Immissionen aufgeben wird, bleibt
abzuwarten. Das hat zur Folge, dass sich ein Grundeigentümer nicht unter
Berufung auf Art. 684 ZGB gegen eine den kantonalen Bauvorschriften
entsprechende Baute, selbst wenn ihm diese die Aussicht versperrt, zur Wehr
setzen kann. Er hat sich zu diesem Zweck vorerst noch der kantonalen
Rechtsbehelfe (Baueinsprache; Klage auf Beseitigung, §173 EGzZGB usw.) zu
bedienen. |
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