HEV 11/1998 Inhaltsverzeichnis


  Die Eigentumswohnung
 

     
  Notwendige oder nützliche bauliche Massnahmen?

(ZGB 712g I, 647 II Ziff.1 und 647 c)

rei. Das Kantonsgericht des Kantons Graubünden hatte im Jahre 1995 zu beurteilen, ob eine bauliche Massnahme - mit welcher eine im Jahre 1970 moderne (aber heute veraltete) Wärmedämmung auf das Niveau gebracht werden sollte, das heute modern ist - notwendig im Sinne von ZGB 647c ist; ob also - abstrakt ausgedrückt- eine bauliche Massnahme, mit welcher eine zeitlich bedingte Niveausteigerung nachvollzogen werden soll, notwendig im Sinne der vorerwähnten Norm ist.

Im zu beurteilenden Fall genügte die Wohnung beziehungsweise der Fussboden des Klägers (D) aufgrund einer gutachterlichen Feststellung mit Sicherheit nicht mehr den heutigen wärmetechnischen Anforderungen. Dies wurde aber nicht auf eine seither eingetretene Verschlechterung der Bausubstanz zurückgeführt, sondern darauf, dass sich der wärmetechnische Standart in den letzten 20 Jahren verändert hat. Anlässlich des Dachumbaues im Jahre 1990 wurde an drei Fassadenflächen eine 80 mm dicke Isolationsschicht aufgezogen und der Estrichboden wurde zusätzlich mit einer 100 mm dicken Steinwollplatte isoliert.
Vorliegend stellte sich nun die Frage, ob die von D verlangte Isolierung der Keller- beziehungsweise Garagendecke als notwendige oder als nützliche bauliche Massnahme zu qualifizieren sei.
Notwendige bauliche Massnahmen werden definiert als Unterhalts-, Wiederherstellungs- und Erneuerungsarbeiten, welche für die Erhaltung des Wertes und der Gebrauchsfähigkeit der Sache nötig sind. Als zur Erhaltung der Gebrauchsfähigkeit notwendig gelten dabei nur jene Handlungen, welche dafür sorgen, dass die Sache zu ihrem normalen Gebrauch geeignet bleibt, nicht aber solche, die einer Verminderung des Ertrages vorbeugen sollen. Ebenfalls nicht notwendig sind Massnahmen zur zeitgemässen Einrichtung eines Betriebes, sofern ohne die entsprechende Massnahme nicht die Produktionsfähigkeit schwer leiden würde. Negativ ausgedrückt bedeutet dies, dass in erster Linie jene bauliche Massnahmen notwendig sind, welche zur Vermeidung der Zerstörung, des Verfalles oder der Verschlechterung der Sache getroffen werden. Nützliche sind demgegenüber jene bauliche Massnahmen, welche - ohne notwendig zu sein - zum Vorteil der Sache, insbesondere zur Steigerung ihres Wertes und Ertrages oder zur Verbesserung ihrer Gebrauchsfähigkeit getroffen werden. Zwar können auch notwendige Massnahmen eine Wert- oder Ertragssteigerung oder eine Verbesserung der Gebrauchsfähigkeit der Sache bewirken; im Gegensatz zu ihnen könnten die nützlichen Massnahmen aber - ohne Not - auch unterbleiben. ZGB 647c erwähnt die Erhaltung des Wertes und der Gebrauchsfähigkeit. Damit ist der durch die bestehende Bausubstanz definierte (sich im Laufe der Zeit verändernde) Wert gemeint, beziehungsweise die durch die bestehende Bausubstanz definierte Gebrauchsfähigkeit. Die Ursache für die Beeinträchtigung oder Gefährdung des Wertes oder der Gebrauchsfähigkeit einer Sache muss deshalb grundsätzlich in einer entsprechenden Beeinträchtigung oder Gefährdung der bestehenden Bausubstanz begründet sein.
In casu wurde weder behauptet, dass ohne Isolierung der Keller- und Garagendecke die bestehende Bausubstanz (beziehungsweise ihr Wert oder ihre Gebrauchsfähigkeit) beeinträchtigt oder zumindest gefährdet wäre, noch wurde dargetan, dass D’s Wohnung ohne zusätzliche Isolierung nach heutiger allgemeiner Verkehrsauffassung nicht mehr bewohnbar und damit nicht mehr gebrauchsfähig wäre. Die verlangte bauliche Massnahme kann somit nicht als notwendig im Sinne von ZGB 647c qualifiziert werden.
Anders wäre dieser Fall beurteilt worden, wenn man aufgrund neuer Erkenntnisse zum Schluss kommt, dass eine ehemals als gebrauchsfähig geltende Baute gar nicht gebrauchsfähig ist (weil z.B. ein gesundheitsgefährdender Baustoff verwendet wurde), oder wenn aufgrund tatsächlicher oder rechtlicher Änderungen in der Umwelt (welche an der bestehenden Bausubstanz nichts ändern) eine ehemals gebrauchsfähige Baute zu einer nicht mehr gebrauchsfähigen Baute wird. Letzteres ist beispielsweise dann der Fall, wenn ein Haus aufgrund eines Waldbrandes plötzlich lawinengefährdet wird und nur durch eine neu zu erstellende Lawinenverbauung bewohnbar bleibt. Oder wenn aufgrund neuer feuerpolizeilicher Vorschriften ein Haus ohne zusätzliche Sicherheitsvorkehrungen nicht mehr bewohnt werden darf, oder sich das bautechnische Niveau bezüglich bestimmter Eigenschaften derart verändert, dass eine ehemals bewohnbare Baute nach heutiger allgemeiner Verkehrsauffassung nicht mehr bewohnbar ist.
Es kann demnach folgendes festgehalten werden: Die hier behandelte Verbesserung der zwar dem heutigen Standard nicht mehr entsprechenden - aber in der bestehenden Bausubstanz begründeten - Wärmedämmung (sofern diese die Bausubstanz nicht beeinträchtigt und die Gebrauchsfähigkeit der Wohnung nicht ausschliesst) stellt keine notwendige bauliche Massnahme dar, die bei Nichtzustandekommen eines Mehrheitsbeschlusses durch den Richter angeordnet werden kann.
 
     

 

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