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Von den
Teufelskreisen der Stadtentwicklung Ein Interview mit Professor René L.
Frey (aus Stadtentwicklung.zh,
4/2001, Informationen der Fachstelle für Stadtentwicklung der Stadt
Zürich)
Professor René L.
Frey (RLF) ist Leiter des Wirtschaftswissenschaftlichen Zentrums WWZ der
Universität Basel. Er ist einer der profundesten Kenner der
Stadtökonomie in der Schweiz und hat verschiedentlich zu diesem Thema
publiziert. Er war Präsident des Nationalen Forschungsprogramms
«Stadt und Verkehr» (1988-1996). In dessen Synthesebericht hat er
den Beitrag «Was hat das NFP Stadt und Verkehr gebracht?» verfasst,
dem die untenstehenden Zitate entnommen sind. Brigit Wehrli-Schindler (BWS)
stellt ihm einige Fragen zu den Folgen der schneller als erwartet
eingetroffenen Reurbanisation der Kernstadt Zürich.
BWS Sie haben in den Neunzigerjahren die «vier
Teufelskreise der Sub- und Desurbanisation» beschrieben, die zur Krise
der Kernstädte und zur Bildung der sogenannten «A-Stadt» mit
einer sozial schwachen Bevölkerung und entsprechend prekärer
Finanzlage führten. In der Synthese des Nationalen Forschungsprogramms
«Stadt und Verkehr» (1996) schrieben Sie jedoch auch: «Der
Städtezerfall ist nicht zwingend. Damit es nicht dazu kommt, braucht es
eine Reurbanisation. Eine solche Renaissance der Stadt ist nicht
unrealistisch.» Heute, fünf Jahre später, ist die Krise der
Kernstädte überwunden, die Reurbanisation ist, zumindest in
Zürich, Tatsache geworden. Sehen Sie das auch so?
RLF
Ich bin mir nicht sicher, ob die Teufelskreise der
Sub- und Desurbanisation tatsächlich definitiv durchbrochen sind und die
Reurbanisation bereits Realität ist. Von den vier Teufelskreisen, die sich
in der Vergangenheit gegenseitig verstärkt haben, sind einige immer noch
am Werk. So trägt der motorisierte Individualverkehr noch lange nicht
seine vollen Kosten. Es gibt immer noch externe Kosten, die nicht den
Verursachern angelastet werden. De facto führt dies zu einer
Subventionierung der Autopendler und fördert das Städtewachstum in
die Breite. Gerade der Metropolitanraum Zürich ist hierfür ein gutes
Beispiel. Auch der Teufelskreis der öffentlichen Finanzen ist noch nicht
durchbrochen. Er wird vorerst bloss durch eine gute Wirtschaftslage verdeckt.
Das Problem liegt hier bei den nicht vollständig abgegoltenen
Zentrumsleistungen durch die Agglomerationsgemeinden sowie, im Falle
Zürichs, auch der angrenzender Agglomerationen.
BWS
Ist die Reurbanisation also bloss
Illusion?
RLF
Nein, eine gewisse Tendenz zur Reurbanisation ist
tatsächlich zu beobachten. Zum einen ist man sich im Zuge des globalen
Standortwettbewerbs heute bewusst geworden, dass die Städte und
Agglomerationen die Motoren oder Treibhäuser der gesamten Volkswirtschaft
sind. Sie müssen wirtschaftlich, gesellschaftlich und politisch
funktionsfähig sein, wenn sie dieser Aufgabe gerecht werden sollen, und
müssen entsprechend gepflegt werden. Zum anderen hat der wirtschaftliche
Strukturwandel der letzten ein bis zwei Jahrzehnte in den Städten
Industrieflächen für Neunutzungen frei gemacht. Dies hat unter
anderem die Schaffung von neuem Wohnraum ermöglicht. Zürich hat davon
besonders profitiert. Zürich-Nord und Zürich-West haben die
Reurbanisation in einem Ausmass gefördert, wie dies beispielsweise in
Basel nur in Ansätzen der Fall gewesen ist. Die Erklärung ist
einfach: Die Zürcher Maschinenindustrie ist ungleich viel stärker
geschrumpft als die Basler chemische und pharmazeutische Industrie.
BWS Sie haben in Ihrer Synthese des NFP «Stadt und
Verkehr» mögliche Reurbanisations-Szenarien entwickelt: die
«Yuppie-Stadt», die «Öko-Stadt» und die
«Stadt der kleinen Netze». «Wahrscheinlich ist»,
schrieben Sie, «dass die Reurbanisation aus einer Mischung der drei
Szenarien bestehen wird.» Wie sehen Sie es heute, welches Ihrer drei
Szenarien hat sich durchgesetzt?
RLF
In Zürich bekommt man den Eindruck, dass das
Szenario der Yuppie-Stadt dominiert. Sie heissen zwar nicht mehr Yuppies,
sondern DINKS (Double Income No Kids), aber gemeint sind dieselben - jene
hochqualifizierten, gut verdienenden Haushalte ohne Kinder, welche von den
neuen urbanen Wohnformen, den Lofts in Zürich West angezogen werden, und
die auch bereit sind, dafür hohe Mieten zu bezahlen. In der ganzen Stadt
steigen die Mieten. Entsprechend wird auch die alte Bausubstanz erneuert und
den neuen Bedürfnissen angepasst, denn die Nachfrage ist
da. In den anderen Schweizer
Städten ich denke hier insbesondere an Basel, das ich am besten
kenne entsprechen die Reurbanisationsansätze viel stärker den
Szenarien der Öko-Stadt und der Stadt der kleinen Netze. Dies ist
besonders deutlich geworden im Programm «Werkstadt Basel», das
durch eine breite Mobilisierung verschiedenster Bevölkerungsgruppen
charakterisiert war und ist.
BWS In Zürich spricht man - trotz des städtischen
Programms «10'000 Wohnungen in 10 Jahren» - bereits wieder von
Wohnungsnot. Wer nicht über unbeschränkte finanzielle Mittel
verfügt, hat es schwer auf dem Wohnungsmarkt. Andere wirtschaftlich
erfolgreichen Städte wie München machen es vor. Selbst die NZZ
spricht dort bereits von der «Kehrseite des Booms». Ist bald kein
Platz mehr in den Städten für Menschen mit kleineren Einkommen? Gibt
es gar einen «Teufelskreis des Erfolges»?
RLF
Wie bereits angedeutet: Man kann noch nicht sagen,
wie viel der heute festzustellenden Veränderungen auf dem Wohnungsmarkt
konjunktureller, das heisst vorübergehender, und wie viel struktureller,
das heisst langfristiger, Natur ist. Man müsste auch wissen, wie gross der
Anteil der Wohnungen ist, welche durch Wochenaufenthalter als Zweitwohnungen
belegt sind. Die Bevölkerungs- und Wohnungszählung 2000 wird
vermutlich zeigen, dass die Pieds-à-terre weiter stark zugenommen haben
vermutlich ganz besonders in Zürich. Dies ist wohl nicht die Art
Reurbanisation, die man sich in erster Linie wünscht. Soweit es sich bei der Wohnungsnot von Zürich um eine anhaltende
Entwicklung handelt, wird sich tatsächlich die Lage der
Bevölkerungsschichten mit kleinerem Einkommen verschlechtern. Bis aber der
Anteil der A-Bevölkerung von Zürich als Kerngemeinde den Durchschnitt
von Zürich als Metropolitangebiet erreicht hat, wird es noch sehr lange
dauern.
BWS Nach der überwundenen Rezession freut man sich
über den Boom, über die rege Nachfrage nach
Büroräumlichkeiten und Wohnungen, über die wieder üppiger
fliessenden Steuereinnahmen. Doch scheinen nicht alle im selben Mass vom Boom
zu profitieren. Die Schere geht immer weiter auseinander. Gibt es eine
umgekehrte Segregation, die in den Boomstädten soziale Spannungen
entstehen lässt?
RLF
Es ist leider schon so, dass sich bei einem
Wirtschaftsaufschwung die sozialen im übrigen auch die regionalen
Disparitäten vergrössern und erst im Zuge der Normalisierung
nach einer gewissen Zeit wieder verringern. In den verstädterten Gebieten
der Schweiz würde ich diese Entwicklung aber solange noch nicht als
wirklich alarmierend einschätzen, wie die oben angesprochenen Unterschiede
in der Bevölkerungsstruktur zwischen Kernstadt (A-Stadt, d.h.
überdurchschnittlich viele Arme, Alte, Ausländer, Arbeitslose,
Auszubildende usw.) und Agglomerationsgürtel (überdurchschnittlich
viele jüngere, relativ wohlhabende Familien) bestehen bleibt.
BWS Braucht es wieder vermehrt sozialen Wohnungsbau, um die
sozialen Probleme abzufedern?
RLF
Als Ökonom sage ich: Nein. Seien wir doch
froh, dass die Marktkräfte die Problematik der A-Stadt etwas verringern
helfen. Eingriffe in den staatlichen Wohnungsmarkt führen tendenziell zu
einer suboptimalen Nutzung des knappen Gutes Boden und tragen dadurch mit dazu
bei, dass es zu den Teufelskreisen der Sub- und Desurbanisation kommt. Dass
Boden in den Zentren ganz besonders knapp ist und daher erst recht
haushälterisch genutzt werden sollte, kann wohl nicht bestritten
werden. Ob ich Ihre Frage allerdings
gleich beantworten würde, wenn ich Politiker wäre, möchte ich
hier offen lassen. Der Anteil der Wählerinnen und Wähler, welche
nicht zur Gruppe der DINKS gehört, wird in Zürich sicher noch auf
lange Zeit gross sein. Anders formuliert: Es gibt neben wirtschaftlichen
Effizienzüberlegungen auch politisch relevante
Verteilungsaspekte.
BWS Herr Professor Frey, wie sieht Ihr Idealszenario einer
ausgeglichenen sozioökonomischen Stadtentwicklung aus? Gibt es ein
Szenario, das keine Verlierer kennt? Und was kann die lokale Politik dazu
beitragen? RLF
Zunächst: jedes Szenario hat Gewinner und
Verlierer. Leider. Mein Idealszenario
lässt sich in aller Kürze mit folgenden Stichworten
umschreiben:
- Externe Kosten
internalisieren, damit Kostenwahrheit schaffen als Voraussetzung für das
gute Funktionieren des Wohnungsmarktes, aber auch anderer
Märkte.
- Soziale Probleme nicht
durch Eingriffe in das Marktgeschehen zu lösen versuchen, sondern durch
gezielte Transfers an die Personen, Haushalte und Familien, welche sozial
benachteiligt sind. Anders formuliert: Subjekthilfe, nicht
Objekthilfe.
Der lokalen Politik von
Zürich würde ich empfehlen, diese beiden Punkte zu verfolgen und sich
nicht durch möglicherweise kürzerfristige Veränderungen beirren
zu lassen. Die Reurbanisationsschlacht ist noch nicht gewonnen. Die
Teufelskreise der Sub- und Desurbanisation sind immer noch am Werk.
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