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HEV 12/2001 Inhaltsverzeichnis
Unser Garten

Pflanzen und ihre Namen: Warum ein Bettseicherli kein Bettseicherli ist
* Barbara Scalabrin-Laube

Augenwurz, Weyfecke, Butterblume, Bettseicher, Saublume, Pumperblume, Buggele, Milchlestöck, Gänsezunge, Chettiblueme, Hundsblume, Chrottäpösche, Maiblümerl, Chueblueme, Kätzenblume, kennen Sie eine dieser Pflanzen?

Ich bin sicher, Sie haben schon längst gemerkt, dass es sich um eine Liste der verschiedenen deutschen Namen des Löwenzahns (Taraxacum officinale) handelt. Ist es nicht faszinierend, wie viele Namen diese gewöhnliche Staude hat, welche über die ganze Erde verbreitet ist? Ein anderes Beispiel für die Verschiedenartigkeit der Pflanzennamen ist das „Bettseicherli". Mein Mann versteht darunter ein Buschwindröschen (Anemone nemerosa), während ich damit das Wiesenschaumkraut (Cardamine pratensis) meine, und andere unter diesem Namen den Löwenzahn kennen.

  Diese Namenvielfalt mag für die Sprachforschung interessant sein, aber Gartenfachleute und Botaniker bekunden manchmal Mühe mit der Variationsbreite. So bestellt zum Beispiel eine Kundin in der Gärtnerei eine Bettagsblume. Erwartet sie nun eine karminrote, spät blühende Aster novae-angliae 'Andenken an Alma Pötschke', wünscht sie die weisse Aster pringlei 'Monte Cassino' oder hat sie gar die ab August blühende blaue Aster x frikartii 'Wunder von Stäfa' im Sinn? Ein Gartenbesitzer wünscht sich einen rotblättrigen Ahorn. Soll ihm ein Acer palmatum 'Red Pigmy' mit den tief eingeschnittenen, dunkelbraunroten Blättern, welcher nach etwa zehn Jahren 70cm hoch sein wird, geliefert werden, oder braucht er eher den ebenfalls braunroten Acer palmatum 'Atropurpureum', welcher im gleichen Zeitraum etwa fünf Meter hoch wird?
Es gäbe der Beispiele noch viele. Wir alle kennen die Geschichte mit der langsam wachsenden Zwergtanne in Nachbar's Garten. Innert kürzester Zeit ist sie so stattlich geworden, dass man sie am liebsten als Weihnachtsbaum auf einem Marktplatz sehen würde.

Wiesen-Schaumkraut
(Bettseicherli)
Cardamine pratensis L.

 
Wer für seinen Garten ganz bestimmte Pflanzen wünscht, dazu Kataloge und Bücher studiert und Rat von Fachleuten sucht, wird sich früher oder später mit den botanischen Namen beschäftigen müssen. Vielleicht weicht man dem Problem vorerst aus, indem man sich die Stauden und Gehölze im Gartencenter oder in der Selbstbedienungsabteilung von Gärtnereien selber auswählt und sich damit tröstet, dass einen die Namen gar nicht interessieren. Problematisch wird es, wenn man im nächsten Jahr von der namenlosen Staude nachpflanzen möchte und der Verkäufer auch nicht weiterhelfen kann, weil er nicht weiss, ob es sich beim karminroten Storchenschnabel um ein Geranium psilostemon oder ein Geranium 'Patricia' gehandelt hat, welche beide angeboten werden.
  Viele von uns lernen mit Lust und Energie auch als Erwachsene eine Fremdsprache oder schreiben sich für einen Computerkurs ein. Weshalb sollte es also nicht möglich sein, sich mit den botanischen Namen der Pflanzen zu beschäftigen? Das „Gärtnerlatein" ist nicht schwierig zu erlernen, und wer sich etwas intensiver damit befasst, erkennt das System der Nomenklatur, welches auf Carl von Linnés grundlegendes Werk „Species plantarum" aus dem Jahre 1753 zurückgeht.
Linné - selber Mediziner und Naturwissenschafter - baute seine Theorie auf dem Bau der pflanzlichen Geschlechtsorgane auf und wählte Latein, die damalige Sprache der Wissenschaft, als Grundlage, damit die Namen überall verstanden wurden. Zuerst teilte er das Pflanzenreich hierarchisch in Klassen ein. Er ging von der Art aus, worunter er eine Gruppe von Pflanzen verstand, welche sich untereinander fortpflanzen aber von anderen Gruppen durch ihre Fortpflanzung isoliert sind.
 

Buschwindröschen
(Bettseicherli)
Anemone nemerosa
 
  Arten mit teilweise übereinstimmenden Merkmalen werden zu Gattungen zusammengefasst. Verwandte Gattungen wiederum bilden Familien. Ein ähnliches Ordnungsprinzip haben wir in der Verwaltung. Mehrere Bezirke (Arten) bilden Kantone (Gattung) und diese den Bundesstaat (Familie).
Unser gebräuchlicher Löwenzahn (Taraxacum officinale) gehört beispielsweise genauso wie der Sumpf-Löwenzahn (Taraxacum palustre) oder der seltene Pachers Löwenzahn (Taraxacum pacheri) zur Gattung Taraxacum, welche zur Familie der Asteraceae gezählt wird.
 
     
Familie:   Asteraceae
Gattung:   Taraxacum
Art:   officinale   palustris   pacheri   etc.
     
  Wenn Sie nun die Namen der drei Löwenzahnarten untersuchen, können Sie dahinter zwei Prinzipien erkennen:
-   Der korrekte Name einer Pflanze ist zweiteilig (Taraxacum officinale), wobei die Gattung gross und die Artbezeichnung klein geschrieben wird.
-   Der gewählte Name hat fast immer eine Bedeutung: So soll das Wort Taraxacum aus dem Ararbisch-Persischen entlehnt sein (tharakh-chakon = Korbblütler) oder vom griechischen tarxis (= Unruhe, Störung im Sinn von Bauchgrimmen) abgeleitet sein. Die Artbezeichnung officinale geht auf den lateinischen Begriff officina zurück, womit die Werkstatt des Alchimisten gemeint ist. Taraxacum officinale ist eine offizinelle oder arzneiliche Pflanze, welche gegen Bauchweh wirken soll. Mit Taraxacum palustre indessen wird auf den Standort der Pflanze hingewiesen, nämlich den Sumpf (lat. palustris = sumpfig). Der Name Taraxacum pacheri wiederum ist eine Ehrung für Herrn Pacher, über den ich nichts erfahren konnte.
 
  Mir macht es Spass, die Bedeutung der botanischen Namen zu kennen, und ich freue mich, wenn ich im Pflanzenreich auf Gestalten aus der Mythologie treffe wie z.B. in Atropa belladonna auf die Schicksalgöttin Atropa, welche den Lebensfaden abschneidet. Im Frühling begegne ich Adonis dem Geliebten Aphrodites in Adonis amurensis (Adonisröschen), der Götterbotin Iris in Iris histroides (kleine Schwertlilie) und etwas später erinnert mich Achillea filipendulina (Schafgarbe) an Achilles.  
Doch verweilen wir kurz bei der Götterbotin Iris, welche sich in verschiedener Gestalt im Garten präsentiert. Da trifft man zuweilen an heissen Plätzen die „bärtige" Iris barbata (lat. barbatus = bärtig), die Bartiris, während sich Iris ensata (lat. enisis = Schwert), die Sumpfiris an feuchten Orten wohl fühlt. Mir gefallen aber auch die hellblauen Blüten von Iris tectorum ( Genitiv plural zu lat. tectum = Dach), welche allerdings nicht auf dem Dach wächst. Aus Sibirien stammt Iris sibirica, die sibirische Schwertlilie. Durch einen unangenehmen Geruch macht Iris foetitdissima (lat. foetidissimus = sehr stinkend) im trockenen Schatten auf sich aufmerksam.
Wenn Sie sich für die Gattung Iris interessieren, werden Sie oft nicht nur eine bestimmte Art, sondern auch eine bestimmte Sorte suchen: Sortennamen werden gemäss internationalem Code gross geschrieben und zwischen einfache Anführungszeichen gesetzt. So entstehen Namen wie der einer rosaroten Iris ensata 'Rose Queen', einer weissen Iris tectorum 'Alba' (alba = weiss) oder der fast schwarzen Iris ‚Night Owl' (Nachteule), welche ohne Artbezeichnung aufgeführt wird, da unklar ist, aus welchen Arten sie gekreuzt wurde.
 

Wiesen-Löwenzahn
(Bettseicherli)
Taracum officinale Web. in Wig.

 
Kurse in Gärtnerlatein gibt es meines Wissens noch nicht, aber ich schlage Ihnen vor, dass Sie sich beim Kauf einer neuen Pflanze statt den etwas unbestimmten deutschen Namen, den botanischen Namen merken, vielleicht als eine sehr persönliche Art von Gedächtnistraining. Würzen Sie den nächsten Salat mit Allium schoenoprasum statt mit Schnittlauch, und fragen Sie bei der Floristin nach einer Euphorbia pulcherrima, einem Weihnachtsstern. Vielleicht blüht in ihrem Garten schon ein Galanthus elwesii, ein breitblättriges Schneeglöckchen, welches an Henry John Elwes (1846 - 1922), einen englischen Gärtner und Dendrologen erinnert.
PS: Kürzlich ist ein spannendes Paperback zu diesem Thema erschienen: Elvira Gross: Pflanzennamen und ihre Bedeutung, Köln 2001, 3-7701-5557-2.
     
  Sehr viele Artbezeichnungen geben wichtige Hinweise über Herkunft, Gestalt oder Standort einer Pflanze. Zur Illustration eine willkürliche Auswahl aus „Zander, das Handwörterbuch der Pflanzennamen" von Encke, Buchheim, Seybold und Zander (ISBN 3-8001-5063-8):  
     
 
acaulis stengellos atifolius breitblättrig
albus weiss magnificus prächtig
alternifolius mit wechselständigen
Blättern
minor
multiflorus
klein
vielblütig
vielblütig baumartig odoratissimus äusserst wohlriechend
autumnalis im Herbst blühend pratensis auf Wiesen wachsend
borealis nördlich procumbens niederliegend
discolor bunt, verschiedenfarbig robustus kräftig,hart
edulis essbar rupestris Fels bewohnend
foetidus stinkend sagittifolius mit pfeilförmigen Blättern
foetidissimus sehr stinkend striatus gestreift
giganteum riesenhaft suffruticosus halbstrauchig
gracilis schlank tomentosus filzig
gramineus Gras ähnlich viridis grün
 
     
 

* Cottage Garden, 8453 Alten

 

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