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Der Gartenvirus *
Gernot Grueber Garten-Sammlerleidenschaft kennen Sie diese Krankheit?
Nein? Dann seien Sie froh! Das Schicksal hat es gut mit Ihnen gemeint! Entweder, Sie haben schon genug Antikörper
entwickelt, oder Sie haben keinen Garten. Sollten Sie von dieser Krankheit befallen sein, können Sie nur hoffen,
dass der Winter nicht zu lange dauert; er verschlimmert diese Krankheit ganz erheblich, und die Folgen sind
unabsehbar! Zuerst fängt es ganz normal an: Leimringe sind an den
Obstbäumchen, Clivie, Ritterstern und Asparagus sprengeri sind eingewintert, die Beete umgegraben, das Pampasgras
ist zusammengebunden, die Rosen provisorisch geschnitten und warm zugedeckt, das Kies auf den Gartenwegen ist zu
Häufchen geschöchelt, sogar das Brombeer- Spalier ist abgelegt und hat eine Reisigdecke bekommen. In der
ersten Winter-Wetter-Woche haben Sie noch Ihre grosse Flachund die Schwertfeile ersetzt und damit den Spaten und den
Unkrautschaber geschliffen und die Baumsäge geschärft. Dem Laubrechen haben Sie anstelle des
«Lotternagels» eine währschafte Schraube verpasst. Jetzt hält er wieder! Mit einem
Leinöllappen haben Sie sogar noch alle Holzteile eingerieben und die Metallteile gegen Rost geschützt. Jetzt
kann der Frühling kommen könnte, ja, könnte! Draussen
macht sich der Winter breit und wie der sich breit macht! Hätte es wenigstens Schnee! Ängstlich
telefonieren Sie Ihrem Baumschulfreund, ob man den Maigold nicht doch lieber erst im März hätte pflanzen
sollen. Er nimmt Sie auf den Arm: Ein alter Pulli sei die Lösung! In Ihre Depression, gemischt aus Bangen und
Warten, hinein keimt die rettende Idee: Die gehortete Sammlung der jüngsten Pflanzen- und Samenkataloge (Schublade
zwei im rechten Schreibtischkorpus) und weg ist das graue Sinnieren. |
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Was sich da viel versprechend Seite um Seite ausbreitet, ist
mehr als nur gartenfüllend. Schon die ZEFA-Zwiebeln sind eine Versuchung, dann der Lauch und die F1-Rüebli
und alle die Nonplusultras, Goliaths und Korbfüllers. Was sich da so aufreizend räkelt! Man(n) ist
versucht, an Pinupgirls zu denken. In Gedanken machen Sie schon Notizen. Der Gehölzekatalog weckt die Vorstellung,
dass Bambusse und Lianen ein Bild von üppiger Vegetation erzeugen, also notieren Sie: |
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drei Sinarundinaria (horstbildend), eine Glyzine (weiss),
eine Aristolochia macrophylla, eine Drillingsakebie und drei Johannisbeeren Roodneus (die alten Stöcke müssen
dran glauben). Da bäumt sich Ihr letzter Rest an Wirklichkeitssinn auf und macht sich gegen die drei Monate
blühende Abelia grandiflora stark. Man kann ja nicht alles haben. Trotz
einigem Verzichten ist das Endergebnis ein A4-Blatt voll, geordnet nach «Kräuter und Gemüse» (ob
ich dieses Jahr mit dem Basilikum mehr Glück habe?), «Stauden» (wie werden mich die Nachbarn beneiden
um den Eritrichium nanum, den Himmelsherold und die Lewisia cotyledon Sunsetstrain), «Einjährige»,
unter anderem auch den gefüllten Portulak. (Übrigens, haben Sie auch schon beobachtet, dass es Samen gibt,
die sich beim Keimen absolut keine Mühe geben, und dass es sich offenbar um ein Naturgesetz handelt, dass das, was
sich da stark und lebensfroh ans Licht stemmt und Ihnen Anlass zur Hoffnung gibt, Unkraut ist?) Zuletzt folgen auf Ihrer Liste die «Rosen und Gehölze». Nach tagelangem
Mühen und sorgfältiger Wahl sind Sie dann so weit, dass Sie Ihre Bestellungen inklusive Kundennummer in die
diversen vorgedruckten fünf Umschläge (nicht verwechseln!) stecken können. (Die Pflanzen mit nackten
Wurzeln lieferbar erst in der ersten Aprilwoche; vorher weiss man ja nicht, ob der Boden schon aufgetaut ist.) Und dann
pflegen Sie weiterhin die Langeweile, und der Februar dauert und dauert und dauert. Mit grosser Spannung erwarten Sie
den Eingang der diversen Sendungen: Wareneingangskontrolle. «Habe ich tatsächlich das alles bestellt?»
Langsam wird es Ihnen unheimlich. Da kommt noch ein Paket mit einem Assortiment Gartenchrysanthemen (12 Stück Fr.
28.) und fünf Aster tongolensis. Endlich ist dann auch der Februar vorbei, und die Sonne beginnt die Erde zu
wärmen. Sie stürzen sich in die Arbeit. Endlich! Mit dem ersten Spatenstich zerstechen Sie den
Frauenherzlistock, mit dem zweiten den Federmohn, und wo der Bambus hin sollte, graben Sie die startbereiten Anemone
blanda und Osterglocken heraus. Laut Pflanzanleitung können Sie die englischen Rosen nicht einfach ergänzend
ins bestehende Beet setzen. Wem könnten Sie nun all die blauen Bettagsastern und die Rudbeckia schenken, damit die
Chrysanthemen Platz finden? Zum Glück wissen Sie noch nicht, dass die Dahlien im Sommer den halben Steingarten
ersticken werden. Für die bestellten Schlingpflanzen haben Sie schlicht eine Dachablaufröhre zu
wenig. Ja, so ist das mit der Garten-Gärtner-Pflanzen-Sammlerleidenschaft.
Die hat Sie mal wieder ganz schön erwischt! Zum wie vielten Mal? Und da soll jemand sagen, es sei keine
Krankheit.
* Gärtnermeister, Langnau am Albis |
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