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HEV 06/2002 Inhaltsverzeichnis
Vom Bauen

Geländer und Brüstungen – neues Formular zur
SIA-Norm 358
* Heinz Auer

Die Schweizerische Metall-Union SMU hat ein Abmahnungsformular für Geländer und Brüstungen erstellt. Es stellt eine Antwort auf Mängel in der SIA-Norm 358 dar. Ziel dieses Formulars ist, dass die Auftraggeber normengerechte Geländer bestellen. Im anderen Fall soll es dazu dienen, die Haftung des Metallbauers in Schadenfällen auszuschliessen.

Metallbauer und Bauherren wollen schöne Geländer
Metallbauer wollen zusammen mit ihren Kunden qualitativ hochwertige, allen Ansprüchen genügende Geländer und Brüstungen erstellen. Ästhetische Ansprüche wie horizontale Stäbe oder luftige Konstruktionen mit Drahtseilen geben dem Gebäude den letzten optischen Schliff. Metallbauer wollen die Wünsche ihrer Kunden erfüllen, ohne den Aspekt der Sicherheit ausser Acht zu lassen. Mit konstruktiven Gesprächen zwischen Bauherr, Architekt und Unternehmer lassen sich die Wünsche der Kunden und die Anforderungen der entsprechenden Baunorm SIA 358 erfüllen. Neben dem neuen Abmahnungsformular der SMU sind hier die Unterlagen der Beratungsstelle für Unfallverhütung (bfu) zur Gestaltung von sicheren Geländern wertvolle Diskussionsgrundlagen.

     
  Im Kanton Zürich strengere Praxis
Praxis Das Amt für Baubewilligungen der Stadt Zürich handelt hier strikt. So teilte dieses der Schweizerischen Metall-Union schriftlich mit:
«Die von der SIA als zulässig erachtete Ausnahme von der Sicherheitsvorschrift, die der Eigentümer selbst nutzt, ist sachlich nicht gerechtfertigt. ... Aus öffentlich-rechtlicher Sicht kann sich der Ersteller einer Wohnbaute zumindest im Kanton Zürich, auch wenn er diese selbst nutzt, der gesetzlichen Verpflichtung, kindersichere Geländer zu erstellen, nicht entziehen. Dies ist von Rechtsmittelinstanzen schon mehrfach bestätigt worden. Unsere Baukontrolle ist verpflichtet, die Vorschriften auch dort durchzusetzen, wo es um vom Eigentümer selbst genutzte Wohnbauten geht.»
Das Amt für Baubewilligungen wird also in jedem Falle, auch bei selbstgenutzten Wohnbauten, kindersichere Geländer verlangen und keine Ausnahme von der SIA 358 akzeptieren oder bewilligen.
 
     
     
  Was steht in der SIA-Norm 358?
Die SIA-Norm 358, als Planungsnorm erlassen, definiert:
Gefahrenbilder und die entsprechenden Geländer
Den Einsatzbereich von Geländern
Geometrische Anforderungen an Geländer
   
3x1 für ein normengerechtes Geländer
Für die Planung von Geländern unter Berücksichtigung der SIA-Norm 358 gilt die «1» für die wichtigsten Aspekte der Norm:
Gefahrenbild Nr. 1 = Unbeaufsichtigte Kinder
Absturzhöhe 1 Meter = Es braucht ein Geländer
Normale Brüstungshöhe: 1 Meter bei Horizontalgeländern

Die SIA-Norm 358 ist, wie jede Norm, kein Gesetz. Sie erhält jedoch dann Gesetzescharakter, wenn sie in den Bauvorschriften der örtlichen Behörde erwähnt ist oder als anerkannte Regel der Baukunst im Prozessfall beigezogen wird. Architekten und Bauherren wurden aufgrund dieser Norm schon wegen fahrlässiger Tötung verurteilt

Keine Regel ohne Ausnahme
Leider definiert die SIA-Norm 358 auch Ausnahmen. Eine davon lautet: «Ausnahmen von den Bestimmungen der vorliegenden Norm sind in folgenden Fällen zulässig:

1. Bei Wohnbauten, die der Eigentümer selbst nutzt
2. Bei Veränderungen in bestehenden Bauten, in denen die vorhandenen Schutzelemente die Sicherheit gewährleisten und durch die Veränderungen keine neue Gefährdung entsteht
3. Wo das Schutzziel nachweislich durch andere Massnahmen erreicht wird.»

Die Ausnahmen 2 und 3 stellen kein Problem dar. Anders sieht es bei Ausnahme 1 aus. Die Kommission, welche für die Erarbeitung der SIA-Norm zuständig war, ging fälschlicherweise davon aus, dass mit Einverständnis des Bauherren automatisch sämtliche Haftungsansprüche gemäss Artikel 58 OR an den Werkseigentümer (Bauherr) übergehen. Dem ist nicht so!

 
       
 
     
  Artikel 58 OR:
Der Eigentümer eines Gebäudes oder eines anderen Werkes hat den Schaden zu ersetzen, den dieser infolge von fehlerhafter Anlage oder Herstellung oder von mangelhafter Unterhaltung verursacht. Vorbehalten bleibt ihm der Rückgriff auf andere, die ihm hierfür verantwortlich sind.
 
     
 
       
       
    Haftung  
       
 

Haftung haftet – an allen Beteiligten
Angenommenes Beispiel: Beat Breu, der Ostschweizer Velo-Bergfloh, bestellt ein Geländer. Da er selber baut, wünscht er eine seiner Körpergrösse entsprechende Geländerhöhe: Handlauf auf 60 cm. Dabei beruft er sich auf obigen Ausnahmeartikel. Dank seinen guten Beziehungen zur örtlichen Behörde wird das Geländer bewilligt. Beat Breu ist prominent, er hat berühmte Bekannte, die er oft und gerne einlädt. So beispielsweise Arnold Schwarzenegger, welcher bekanntlich über andere Körpermasse als Beat Breu verfügt. Nach einem langen, gemütlichen Abend will Arnold Schwarzenegger sich müde am Geländer halten, greift ins Leere und stürzt vom Obergeschoss ins Erdgeschoss.
Trotz Bewilligung der Behörde, trotz Ausnahmeartikel der SIA 358, trotz unterzeichnetem Abmahnungsformular der SMU – der Staranwalt von Arnold Schwarzenegger kann jeden im Geländerbau Beteiligten erfolgreich verklagen. Denn es besteht nur ein Haftungsausschluss zwischen Beat Breu und dem Metallbauer, nicht aber zwischen dem Metallbauer und allen Bekannten und Verwandten von Beat Breu.

Auch mit der Norm lassen sich schöne Geländer gestalten
Horizontalgeländer sind sowohl bei Architekten als auch bei Bauherren sehr beliebt. Sie liegen im Trend. Die Norm 358 hält aber klar fest:
Das Beklettern der Schutzelemente ist durch geeignete Massnahmen zu verhindern bzw. zu erschweren.
Damit ist der so genannte Leitereffekt angesprochen. Bei Vertikaltraversen, welche nicht zwingend als hässlich betrachtet werden müssen, ist dieses Problem nicht vorhanden. Es gibt jedoch kein Verbot von Horziontaltraversen oder Drahtseilen. Es ist jedoch zu empfehlen, bei diesen Geländern den Handlauf um 15 cm nach innen zu versetzen.

Hier gilt die SIA-Norm 358 nicht
Die SIA-Norm 358 gilt für Hochbauten und deren Zugänge. Im öffentlichen Raum, für Strassen, Wege, Plätze und Strassenbrücken gilt SN Schweizer Norm 640568 des Schweizerischen Verbandes der Strassen- und Verkehrsfachleute. Diese wird zurzeit überarbeitet. Die SMU ist in der Vernehmlassung zur Norm eingebunden. Ausnahmeregelungen mit solchen Folgen wie in der SIA-Norm 358 sollten sich also nicht wiederholen.

 
     
 
     
  Die Missachtung von SIA 358 kann schwerwiegende Folgen haben – zwei Beispiele
Fall 1:
Vor einigen Jahren verunfallte ein Korporal der Schweizer Armee tödlich, als er sich aus einem Fenster der Kaserne Thun beugte und mehr als 11 Meter in die Tiefe stürzte. Das Gericht verurteilte den Architekten und den Bauprojektleiter. Ihnen wurde fahrlässige Tötung und Gefährdung durch Nichtbeachten der Regeln der Baukunde zur Last gelegt. Das Gericht berief sich dabei ausdrücklich auf die SIA-Norm 358, deren Vorschriften nicht eingehalten worden waren.

Fall 2:
Ein knapp zweijähriges Kind stürzte vom Balkon der im dritten Stock gelegenen Wohnung und wurde dabei getötet. Es war durch die Öffnung zwischen der Balkonmauer und der darüberliegenden Eisenstange geschlüpft. Obwohl die örtlichen Bauorgane den Bau genehmigt hatten – sie änderten nach der Urteilssprechung ihre Praxis – wurde der beklagte Architekt vom Bundesgericht verurteilt. Begründung: Nichteinhaltung der SIA-Norm 358.
 
     
 
     
   
     
 

Metallbauer können fast jeden Wunsch erfüllen
Ziel jedes Unternehmers ist es, die Wünsche seiner Kunden zu erfüllen. Die Frage bleibt, was zu tun ist, wenn der Kunde etwas wünscht, das gegen die Norm oder gar gegen das Gesetz verstösst. Dann ist es Pflicht jedes Unternehmers, den Kunden darauf aufmerksam zu machen. Im Falle von Geländern und Brüstungen ist das neu mit dem Abmahnungsformular zur SIA-Norm 358 der Schweizerischen Metall-Union möglich.
Das neue Formular der SMU bezweckt vor allem die Sensibilisierung des Bauherrn. Oft weiss dieser nicht, dass für den Geländerbereich Vorschriften gelten. Erfahrungen von SMU-Mitgliedern des Kantonalverbandes Winterthur-Schaffhausen haben gezeigt, dass der Zwang zur Unterschrift bei Bauherren einen Denkprozess auslöst. Wer nachdenkt, fragt nach. Der Metallbauer kommt so zum Auftrag und der Bauherr zu einem schönen, sicheren und normenkonformen Geländer. Denn das neue Abmahnungsformular will nicht als Freibrief für verrückte Konstruktionen verstanden werden!

* Leiter Abt. Metallbau SMU, Zürich

 
       
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