Hauseigentümerverband Zürich
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HEV 10/2002 Inhaltsverzeichnis
Nachbarrecht

Das Kapprecht
* Cornel Tanno

Das Kapprecht ist die Befugnis des Nachbarn, auf sein Grundstück hinüberragende Äste und Wurzeln bis auf die Grenze zurück zu schneiden. Das Kapprecht ist ein Selbsthilferecht des beeinträchtigten Nachbarn und stellt als solches eine eigentliche Ausnahme von der übrigen Ordnung der nachbarlichen Abwehrmöglichkeiten dar.

Äste und Wurzeln, die in benachbarte Grundstücke eindringen, sind mit dem Baum als Ganzes Bestandteil des Grundstückes, auf dem der Stamm steht. Sie gehören daher mit dem Baum zusammen dem Grundeigentümer. Das Recht zur Kappung bezieht sich nur auf Äste und Wurzeln von Pflanzen, deren Stamm jenseits der Grundstücksgrenze steht. Wächst der Stamm hingegen genau auf der Grenze, so wird die ganze Pflanze wie eine Grenzvorrichtung im Sinne des Gesetzes (Art. 670 ZGB) behandelt. Der Grenzbaum steht folglich im Miteigentum der benachbarten Grundeigentümer. Die nachbarlichen Vorschriften sind auf solche Grenzpflanzen nicht anwendbar, insbesondere nicht das Kapp- und das Anriesrecht (Recht an den an überragenden Ästen wachsenden Früchten).
Das Recht auf Kappung wird vom Erfüllen bestimmter Voraussetzungen abhängig gemacht. Der beeinträchtigte Nachbar darf nicht ohne weiteres zur Selbsthilfe greifen und die störenden Äste und Wurzeln einfach kappen.
Dem Besitzer der Pflanze ist vorgängig Gelegenheit zu geben, die Störung selbst zu beheben. Zu diesem Zweck muss der beeinträchtigte Grundeigentümer eine Beschwerde an den Nachbarn richten und ihm eine angemessene Frist zur eigenen Beseitigung der eindringenden Äste oder Wurzeln ansetzen. Die Zeitspanne soll in Tagen, Wochen oder Monaten exakt definiert werden, damit der Verpflichtete genau weiss, bis wann er sich Zeit lassen kann. Die Dauer der Frist ist angemessen anzusetzen, d.h. der Verpflichtete muss genügend Zeit zum Ausführen der Arbeiten haben und zum Schutze der Pflanze nicht gezwungen werden, die Kappung während der Vegetationszeit vornehmen zu müssen. Die Kappung sollte daher nicht zwischen Anfang März und Ende Oktober verlangt werden.
Die Beschwerde selbst ist nicht an eine bestimmte Form gebunden. Aus Beweisgründen ist jedoch zu empfehlen, die Beschwerde schriftlich abzufassen und eingeschrieben zu versenden.
Einen berechtigten Anspruch auf Beseitigung von störenden Ästen oder Wurzeln hat der Nachbar immer nur dann, wenn er durch deren Eindringen tatsächlich geschädigt wird. Unter einer Schädigung, die vom betroffenen Nachbarn nicht geduldet werden muss, ist jede Beeinträchtigung in der Benutzung oder Bewirtschaftung des Grundstückes zu verstehen. Als Schädigungen kommen demgemäss etwa in Frage:
eine starke Beschattung
Feuchtigkeits- und Lichtentzug
Behinderung der Aussicht

Sind alle Voraussetzungen zur Begründung des Kapprechts erfüllt und ist der Pflanzenbesitzer auf die Beschwerde hin nicht fristgemäss tätig geworden, so kann der geschädigte Nachbar zur Selbsthilfe greifen und die störenden Äste oder Wurzeln eigenhändig kappen. Ist er sich allerdings nicht sicher, ob die Berechtigung zur Kappung tatsächlich gegeben ist, soll das Kapprecht vorsichtshalber vorgängig gerichtlich festgestellt werden.
Als Bestandteil der Pflanze gehören die Aste und Wurzeln vor der Kappung dem Baumeigentümer. Wenn die Äste und Wurzeln mit der Kappung von der Pflanze getrennt werden, verlieren sie die Zugehörigkeit zum Eigentum des Pflanzeneigentümers. Derjenige, der sie gekappt hat, kann sie daher an sich nehmen. Durch die Besitzergreifung gehen sie in sein Eigentum über. Ein Anspruch auf Entgelt für das eigene Ausführen der Kappung steht ihm jedoch nicht zu.
Da das Selbsthilferecht auf Kappung mit erheblichen Schwierigkeiten, Kosten oder Risiken verbunden sein kann, ist es für den geschädigten Nachbarn unter Umständen günstiger, auf dieses Recht zu verzichten und stattdessen mittels Eigentumsfreiheitsklage den Baumeigentümer zur eigenen Beseitigung der Störung zu veranlassen.

* lic. iur., Rechtsanwalt, HEV Zürich

     
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