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Behinderten-Initiative: für Hauseigentümer
unverhältnismässige Kosten *
Rolf Hegetschweiler
Die Behinderten-Initiative
verfolgt ein Ziel, hinter dem wir alle stehen: Behinderten Menschen soll das
Leben in unserer Gesellschaft erleichtert werden. Seit 2000 ist die
Gleichstellung Behinderter in der neuen Bundesverfassung verankert. Im Dezember
2002 hat das Parlament als indirekten Gegenvorschlag zur Initiative das
Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) verabschiedet. Es tritt am 1. Januar
2004 in Kraft und erfüllt die zentralen Forderungen der Initianten: Damit
ist die Initiative von der Realität überholt worden, weshalb sie am
18. Mai abzulehnen ist.
Gemäss BehiG müssen
Benachteiligungen gegenüber Behinderten verhindert, verringert oder
beseitigt werden. Das Gesetz regelt die Anpassungsbereiche, -massnahmen und den
Rhythmus der Anpassungen. Das macht die sich daraus ergebenden Kosten
berechenbar. Der Initiativtext ist dagegen sehr offen gehalten das birgt
grosse Gefahren, insbesondere für die Hauseigentümer: Mit der Initiative werden die Hauseigentümer zu
Anpassungen für Behinderte verpflichtet und müssen sofort bei allen
Gebäuden, egal ob alt oder neu oder gar unter Heimatschutz stehend,
Massnahmen ergreifen. Die Initiative nimmt keine Rücksicht auf besondere
Situationen oder die Geschichte des Hauses, auch nicht auf die
Erneuerungszyklen von Altbauten. Dass das gelinde gesagt problematisch sein
kann, ist bei historischen Gebäuden offensichtlich. Nicht minder
problematisch ist es aber bei eben erst erstellten Gebäuden, wenn für
die sofortigen Anpassungen womöglich alles wieder aufgerissen werden muss.
Auf den ersten Blick weniger problematisch ist die Situation bei Neubauten,
weil man ja sowieso bei Null beginnt. Aber geht es nicht zu weit, dass
behindertengerechtes Bauen auch gefordert wird, wenn das Gebäude nur drei
Wohnungen umfasst und davon auszugehen ist, dass nie Behinderte darin wohnen
werden? Die Kosten dieser Massnahmen sind schwer abzuschätzen, gehen aber
in die Milliarden und müssen von den Hauseigentümern allein getragen
werden. Letztlich werden sie die Mieten spürbar verteuern und ob
gewollt oder nicht das Angebot an günstigen Wohnungen für
einkommensschwache Familien reduzieren. Nicht zu unterschätzen ist sodann die Gefahr, dass die
Initiative zu Klagen nach amerikanischem Muster führt: Laut Initiativtext
müssen Benachteiligungen nämlich nicht nur beseitigt, sondern
ausgeglichen werden, was kaum möglich ist. Ausnahmeregelungen sind nicht
vorgesehen. Damit ist umfangreichen Klagen gegen Hauseigentümer, welche
die Auflagen nicht umgehend erfüllen, Tür und Tor geöffnet.
Keine wirkliche Hilfe ist das vermeintlich vernünftige Kriterium der
«wirtschaftlichen Zumutbarkeit» im Initiativtext. Mit Sicherheit
müssten die Gerichte in jedem einzelnen Fall wieder neu beurteilen, was
das bedeutet. Von Rechtssicherheit kann keine Rede sein und Besitzer von
Wohnhäusern müssen teure Gerichtsverfahren
befürchten. Die Initiative hat
insofern ein Ziel erreicht, als dank ihr das BehiG zustande gekommen ist. An
ihr festzuhalten ist jedoch kontraproduktiv: Sie will zuviel zu schnell und
setzt die gegenüber behinderten Menschen bestehenden Sympathien aufs
Spiel. Demgegenüber setzt sich das
BehiG mit einem klar definierten Massnahmenkatalog für die Rechte der
Behinderten ein. Nur bei Wohngebäuden mit mehr als acht Wohneinheiten und
bei Gebäuden mit mehr als 50 Arbeitsplätzen, wo mit anderen Worten
eine erhebliche Wahrscheinlichkeit besteht, dass auch Behinderte sie betreten,
muss der Zugang für Behinderte gewährleistet werden. Zudem sind
Anpassungen erst dann vorzunehmen, wenn Hausbesitzer Gebäude neu bauen
oder renovieren. Sukzessive werden so alle grösseren Altbauten mittel- bis
langfristig angepasst. Dieser Zeit- und Kostenrahmen ist vernünftig und
für die betroffenen Hauseigentümer einigermassen
tragbar. Und noch ein entscheidender
Unterschied: Laut BehiG müssen keine Anpassungen vorgenommen werden, wenn
zwischen dem zu erwartende Nutzen für Behinderte und dem wirtschaftlichen
Aufwand ein Missverhältnis besteht. Auch die Interessen des Umweltschutzes
sowie des Natur- und Heimatschutzes und die Anliegen der Verkehrs- und
Betriebssicherheit sind zu berücksichtigen. Der «wirtschaftlicher
Aufwand» ist zudem in dem Sinne präzisiert, dass die Anpassung 5
Prozent des Gebäudeversicherungswertes bzw. des Neuwertes der Anlage oder
20 Prozent der Erneuerungskosten nicht übersteigen darf. Das Gesetz erleichtert den Behinderten über
zahlreiche Massnahmen den Alltag in unserer Gesellschaft. Die Forderungen sind
anderseits auch für die Hauseigentümer umsetzbar. Ein NEIN zur
Behinderten-Initiative drückt daher nicht mangelndes Verständnis
für die Anliegen der Behinderten aus, sondern legt die Basis zu einer
konstruktiven Behindertenpolitik.
* Direktor
HEV Kanton Zürich und HEV Zürich |
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