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Anspruchsvolle Marder *
Ulrich Lachmuth
Meldungen über
Störungen durch Steinmarder haben sich in den letzten Jahren vervielfacht.
Darüber hinaus haben die Einzelfälle deutlich an Komplexität
gewonnen, sodass heute der Schädlingsbekämpfer allein vielfach nicht
weiterhelfen kann. «Interdisziplinäres Teamwork» ist
gefragt.
Wenn Schläfer mitten in
der Nacht aus tiefer Ruhe gerissen werden und lautes Gepolter hören, es
aufDachbödenganz eigenartig riecht, Isoliermaterial in grösseren
Mengen ausgetragen wird, Dampfsperren beschädigt werden, sich ab und zu
Leichengeruch (von mitgebrachten Beutetieren) ausbreitet und später
Fliegenmaden aus Deckenfugen rieseln, dann haben Sie Steinmarder in Ihrem
Haus.
Ein eingefleischter
Einzelgänger Wie wird man den
Ruhestörer los? Mannigfaltig sind die Rezepte, manche brachial, manche
kurios. Wie so oft ist auch hier das Patentrezept nicht dabei. Was bei anderen
Schädlingen eine Lösung erkennbar machen kann, der Blick in die
Biologie, hilft bei Mardern nicht weiter. Marder (genauer: der Steinmarder,
Martes foina) ist ein Verwandter der Nerze, Wiesel und Dachse und wird
systematisch zusammen mit Katzen, Hunden und Bären als Landraubtier
klassiert. Seine Nahrung besteht aus Kleintieren: Nagern, Vögeln,
Amphibien und Insektenfressern. Er schätzt Eier als Delikatesse und
erbeutet sie aus Nestern und Geflügelhaltungen Marder sind
Höhlenbewohner, legen aber keine eigenen Bauten an, sondern nutzen
vorhandene Hohlräume als Unterschlupf. Dabei bevorzugen sie
Baumhöhlen und andere natürliche Verstecke. Als einheimische
Raubtiere gehen Marder zunehmend in Siedlungsgebieten auf Beutezüge. Dort
finden sie Mäuse, Igel und Kleinvögel sowie Eier aus Vogelnestern.
Der ausgewachsene Marder zeigt ein ausgeprägtes Revierverhalten und
verteidigt sein Jagdgebiet gegen Artgenossen. Er ist ein ausgesprochener
Einzelgänger, paarweise treten Marder ausschliesslich zur Paarungszeit
auf. Rudel oder anders strukturierte grössere Gruppen kommen nicht vor.
Die Mutter duldet die Jungtiere nur so lange, wie sie auf Ernährung durch
sie angewiesen sind. Sobald die Jungen selbtständig sind, vertreibt die
Mutter diese aus ihrem Revier und sie müssen sich ein eigenes
Jagdgebietsuchen.
Störenfried
Mensch In den letzten Jahren hat in
Wohngebieten die Zahl der Marder erheblich zugenommen. Teilweise vergeht kaum
eine Woche, ohne dass bei Schädlingsbekämpfern ein oder zwei Anrufer
verzweifelt um Hilfe nachsuchen. Sicherlich hat zu der heutigen Situation
beigetragen, dass noch mehr Häuser in Ortsrandgebieten erstellt wurden.
Damit dringt der Mensch stärker in die Lebensräume anderer Tiere ein.
Sicher ist auch, dass heute der Anteil an ausgebauten Dachgeschossen erheblich
höher sein dürfte als noch vor wenigen Jahren. Darüber hinaus
macht sich auch die allgemeine wirtschaftliche Lage bemerkbar: Es gibt
Anzeichen, dass bei vielen neu erstellten oder umgebauten Dächern offenbar
aus Sparsamkeit bestimmte Massnahmen unterbleiben, die noch vor kurzem
selbstverständlich dazugehörten. Marder finden heute eine Vielzahl
von Möglichkeiten, direkt oder mit nur geringem Kraftaufwand in
Dächer einzudringen.
Wunderbare
Nisthöhlen Und mit Fug und
Recht annehmen darf man, dass auch der Marder seinen ganz eigenen Teil zu der
heutigen Situation beigetragen hat: Wir erleben «Evolution live»,
wenn wir feststellen, dass diese Tiere dabei sind, sich mit einer
veränderten Umwelt zu arrangieren: Es gibt nicht mehr genügend
Baumhöhlen in geeigneten Jagdrevieren. Dafür gibt es jede Menge neuer
Höhlen -schön warm, gut geschützt und mit einer Menge Beutetiere
in der nächsten Umgebung, die mittlerweile verlernt haben, sich vor
Jägern zu schützen. Also machen sich die Marder auf in die
nächste Siedlung, in die Stadt. Als
nachtaktives Tier wird der Marder gerade dann munter, wenn Menschen eigentlich
Schlaf brauchen. Vor Beginn seiner Beutezüge tollt er einige Zeit auf dem
Dach herum. Diese spielerische Aktivität wiederholt sich nach seiner
Rückkehr. Marder leben allein; sämtliche Störungen verursacht
ein einziges Tier!
Auch
Zerstörungen Neben anhaltenden
Ruhestörungen kann die Anwesenheit eines Marders aber auch echte,
geldwerte Schäden nach sich ziehen, wenn das Tier Isoliermaterial
grossflächig austrägt oder Dampfsperren während des
Krallenschärfens zerstört. Sie reissen Bleche usw. ab, wenn sie die
freie Bewegung stören; bestimmte Kunststoffe scheinen Marder zum Zubeissen
zu reizen (Autokabel, Bremsschläuche!). Es sind zwar keine
einschlägigen Fälle bekannt, es kann aber nicht ausgeschlossen
werden, dass Marder auch Elektrokabel angreifen, wenn sie ähnliche
Materialien enthalten. Zudem verunreinigen sie den Dachboden in erheblichem
Umfang durch Kot und mitgebrachte Tierleichenreste mit allen damit verbundenen
mikrobiologischen Begleiterscheinungen.
Erfolglose
Jagdversuche Versuche, den Marder zu
jagen oder mit Fallen zu stellen, werden häufig unternommen. Selbst
erfahrene Jäger haben allerdings beträchtliche Probleme, Marder
sicher «anzusprechen>: Ein schnelles, kleines, dunkles Tier in der
Nacht ist eine denkbar schlechte Zielscheibe, zumal nicht vorhersehbar ist,
wann genau es das schützende Dach verlässt. Ein Moment
Unaufmerksamkeit, und die Chance ist für eine weitere Nacht vorbei. Fallen
werden von einer Reihe eigener Probleme begleitet. Schlagfallen, wie sie sich
bei Nagetieren bewährt haben, sind bei Mardern ungeeignet, weil das Tier
grösser ist und im Aussengelände der Mechanismus zu oft durch andere
Einflüsse ausgelöst wird. Lebendfallen werden gemieden beködern
kann man sie auch nicht, weil Marder als Räuber lebende Beute greifen. Oft
werden vergiftete Eier ausgelegt, vom Marder jedoch nur selten beachtet: Er
scheint Eiern zu misstrauen, wenn sie nicht in einer «echten»
Nestsituation angeboten werden.
Detektivarbeit Bevor
der Spezialist eine Aktion beginnen kann, muss er zunächst die wichtigen
Begleitdaten eines konkreten Befalls erheben, denn ohne eine umfassende
Spurensicherung ist das Unternehmen von vornherein aussichtslos. In erster
Linie dienen diese Beobachtungen dazu, die grundlegenden Bewegungsmuster des
Marders am und um das vorliegende Objekt herauszufinden. Auf welchen Wegen
bewegt sich der Marder? Wo wird sein «Eingang» vermutet? Gibt es
dort Kletterhilfen, die zu berücksichtigen sind (Bäume, Fallrohre,
Spalier oder Kletterpflanzen)? Nutzt das Tier mehrere Möglichkeiten, in
das Dach einzudringen? Oft ergibt diese Erhebung bereits wesentliche
Informationen, sodass man das Problem ohne weitere Schwierigkeiten durch wenige
und kleine Massnahmen lösen kann. Man schneidet Pflanzen so zurück,
dass sie keine «Brücken» mehr darstellen. Man kann Fallrohre
und dergleichen mit Manschetten oder ähnlichen Vorrichtungen sperren. Dann
ist der Marder darauf angewiesen, entweder beschwerlichere Wege in Kauf zu
nehmen (die ihn, besonders während der Suchphase, für Gegenmassnahmen
anfällig machen), oder aber er muss das Objekt aufgeben.
Äusserst vorsichtige
Tiere Erst nach Abschluss der
Befallsanalyse werden die konkreten Gegenmassnahmen geplant. Die
grundsätzlichen Schwierigkeiten einer direkten Bekämpfung sind aber
nicht weniger geworden: Noch immer sind Marder fallenscheu und äusserst
schwierig zu bejagen, zunehmend werden angeforderte Abschüsse von den
zuständigen Personen auf Gemeindeebene rundweg abgelehnt. Es ist nicht
nötig, das Tier zu töten oder einzufangen. Zentraler Bestandteil
einer jeden Marderaktion ist deshalb die Vergrämung: Der Spezialist muss
den befallenen Dachraum durch geeignete Massnahmen vorübergehend in einen
Zustand versetzen, der dem Marder eine weitere Nutzung als unannehmbar
erscheinen lässt. Der Einsatz stark riechender Substanzen hat sich hierbei
bewährt, während die Installation von Schallquellen (wie auch von
Ultraschallanlagen) in aller Regel erfolglos bleibt. Solche Massnahmen setzen
jedoch ein erhebliches Mass an Fachkenntnissen voraus - wir dürfen nicht
vergessen, dass das Ganze in einem bewohnten Gebäude stattfindet: Die
direkten und indirekten Wirkungen auch auf die regulären Hausbewohner
müssen bekannt und beherrschbar sein, einige durchaus geeignete
Wirksubstanzen zeigen Unverträglichkeiten mit bestimmten Baumaterialien,
Möbelbestandteilen, Kunststoffen oder Wohntextilien.
Höhere
Anforderungen Die Sicherung eines
Dachraums gegen ein erneutes Eindringen bildet den Abschluss der Massnahmen und
beginnt in der Regel bereits während der Vertreibungsphase, damit
sichergestellt ist, dass keine Marder im Dach eingeschlossen
werden. Noch immer ist der
Schädlingsbekämpfer mit einer biologischen Grundausbildung der
angemessene Ansprechpartner, wenn es um die Planung einer konkreten Aktion
geht. Die Ausführung dieser Behandlung übersteigt jedoch in vielen
Fällen seine alleinige Kompetenz. Konnte man vor einigen Jahren noch so
vorgehen, dass man lediglich den Mardern den Dachraum durch irgendeinen
Duftstoff verleidete, ist diese Strategie als Alleinmassnahme heute zunehmend
zum Scheitern verurteilt -weil kaum freier Dachraum mehr vorhanden ist. Reichte
es früher noch aus, das eine oder andere Brett zu entfernen und hinterher
wieder anzunageln, müssen heute mehr und mehr Vertäfelungen
geöffnet, Zwischenwände, -decken oder -böden zugänglich
gemacht und in Einzelfällen auch grössere Dachbereiche abgedeckt
werden, nur um herauszufinden, wo genau der Marder sein Unwesen treibt, welche
Wege er geht, wo er wohnt, von der anschliessend meist notwendigen Sanierung,
zum Beispiel von Isolierschichten oder Elektroinstallationen, ganz zu
schweigen.
Teamarbeit Die
Massnahmen müssen sich den geänderten Bedingungen anpassen, genauso
wie es auch die Marder getan haben. Solche Schreiner- und Dachdeckerarbeiten
durchzuführen, verlangt in komplexen Situationen erhebliches
Spezialwissen. Es ist unumgänglich geworden, für diese Aufgaben die
jeweiligen Fachbetriebe hinzuzuziehen. Das Zusammenspiel diverser
unterschiedlicher Fachleute zum Erreichen des gemeinsamen Ziels (Marder
vertreiben und effizient fernhalten) erfordert jedoch eine koordinierende
Instanz. * U. Lachmuth
ist Biologe bei der Rentokil Initial AG in Weiningen. Der Artikel entstammt
seiner Broschüre «Hausschädlinge», Art.-Nr. 40086 (Online-Bestellung). |
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