Hauseigentümerverband Zürich
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HEV 05/2004 Inhaltsverzeichnis
Aus der Praxis des Bundesgerichts

     
  Ansprüche Dritter aus Vertrauenshaftung/
Anforderungen an Gutachten
HEV Winterthur
 
     
  Das Bundesgericht hatte in einem Entscheid vom 23. Dezember 2003 folgenden Sachverhalt zu beurteilen: Ein Architekt, lokal auch ein bekannter Liegenschaftenschätzer, verfasste 1994 im Auftrag der Eigentümer einen Schätzungsbericht über deren Liegenschaft. Die Eigentümer wollten dieses Gutachten, um bei der Bank eine Erhöhung des Hypothekarkredits zu erlangen. Das Gutachten wurde in der Folge nicht nur der Bank zur Verfügung gestellt, sondern 1996 im Hinblick auf den Verkauf der Liegenschaft auch Kaufinteressenten vorgelegt. Nach erfolgtem Kauf bezogen die neuen Eigentümer das Haus im März 1997 und wurden kurz danach darauf aufmerksam, dass sich beim Vordach Probleme einstellen könnten. Von der Käuferschaft beauftragte Bauexperten stellten in der Folge verschiedene Mängel an der Liegenschaft fest, die im Schätzungsbericht des Architekten nicht erwähnt waren, weshalb Klage erhoben wurde.
Da nicht die neuen, sondern die alten Eigentümer der Liegenschaft den Architekten mit der Schätzung beauftragt hatten, kam eine Haftung des Architekten aus Vertrag von vornherein nicht in Betracht. Hingegen prüfte das Bundesgericht, ob allenfalls eine so genannte Vertrauenshaftung Platz greife. Diese setzt voraus, dass zwischen den Parteien eine rechtliche Sonderverbindung entstanden ist, die nicht auf blossem Zufall beruht. Ein unmittelbarer Kontakt ist aber nicht notwendig. Es genügt, dass die beklagte Person kundgetan hat, für die Richtigkeit bestimmter Äusserungen einzustehen und der Kläger im berechtigten Vertrauen darauf Anordnungen getroffen hat, die dann zu seinem Schaden geführt haben. Daraus folgt, dass auch ein Experte, der ein Schriftstück erarbeitet, haftbar werden kann, wenn er weiss oder damit rechnen muss, dass der Auftraggeber das Gutachten an Dritte weitergibt. Ob der Gutachter mit der Weitergabe an Dritte rechnen muss, entscheidet sich nach den konkreten Umständen, dem gesellschaftlichen und beruflichen Kontext und der sozialen Rolle der Betroffenen.
Nach Ansicht des Bundesgerichts konnte der Architekt nicht ausschliessen, dass sein Gutachten von irgendwelchen Personen in irgendeinem Zusammenhang zu einem späteren Zeitpunkt nochmals eingesehen werden könnte, wenngleich es im Zeitpunkt der Erstellung einzig dazu dienen sollte, eine Erhöhung des Hypothekarkredits zu erlangen. Da zwischen dem Architekten und den neuen Eigentümern im Zeitpunkt der Erstellung des Gutachtens kein direkter Kontakt bestand bzw. er nichts von den Verkaufsabsichten wusste, habe zwischen den Parteien keine Verbindung bestanden, die ein legitimes Vertrauen der neuen Eigentümer in die Richtigkeit des Gutachtens hätte begründen können. Ebenso wenig sei für den Architekten vorhersehbar gewesen, dass sein Gutachten in einem anderen Zusammenhang, wie dem Verkauf der Liegenschaft, nochmals verwendet werden würde. Hinzu komme, dass das Gutachten in einem Abstand von zwei Jahren innerhalb eines Personenkreises, der mit dem ursprünglichen Zweck des Gutachtens nichts mehr zu tun hatte, zirkulierte. Eine Vertrauenshaftung hätte höchstens gegenüber der Bank, falls sie im Zusammenhang mit der Erhöhung der Hypothek gestützt auf das Gutachten für sie nachteilige Vermögensdispositionen getroffen hätte, bestanden. Das Verhältnis zur Bank war aber im vorliegenden Fall nicht zu beurteilen. Aus diesen Gründen verneinte das Bundesgericht eine Vertrauenshaftung des Architekten.
Das Urteil überzeugt im Ergebnis, das Gericht verweigert der Klage bereits hinsichtlich Haftungsgrundlage das Fundament. Gleichwohl gibt der Entscheid zu einigen Bemerkungen Anlass: Zunächst fällt auf, dass das zugrunde liegende Vertragsverhältnis vom Gericht ohne weiteres als Auftrag im Sinne der Art. 394 ff. OR qualifiziert wird; ein Hinweis auf die differenzierende Rechtsprechung zur diesbezüglichen Einordnung (z. B. auf BGE 127 III 328), welchletztere in der Lehre nach wie vor kontrovers ist (und es auch bleiben wird, man denke etwa an die computergestützten Fernschätzungen), indem teilweise ein Werkvertrag nach Art. 363 ff. OR angenommen wird, fehlt vollständig. Nun ist zwar für die Beurteilung einer Haftung aus Vertrauen das Vertragsverhältnis als solches von sekundärer Bedeutung, kann aber, soweit Element des vertrauensbegründenden Tatbestandes, nicht einfach der Erwägungsperipherie anheim fallen. Die präzise Bestimmung dessen, was überhaupt geeignet ist, schützenswertes Vertrauen zu begründen, umfasst in Fällen wie dem vorliegenden eben auch den Vertrag an sich.
Die typische Leistung besteht bei einem Schätzungsgutachten darin, den Wert einer Sache zu schätzen, nicht einen Befund über einen technischen Sachverhalt, etwa wie im Sinne einer Bauexpertise, abzuliefern (wenngleich wahrnehmbare Auffälligkeiten am Schätzungsobjekt in einem sorgfältig abgefassten Gutachten Erwähnung finden sollten). Der Auftraggeber möchte einen mutmasslichen Preis in Erfahrung bringen, welcher je nach Lage seiner Interessen lieber hoch (z.B. Verkauf oder Hypotheken-Aufstockung) oder lieber tief (z.B. Auszahlung eines Miterben, steuerrechtliches Verfahren) ausfallen soll. Die Stossrichtung des Schätzungsgutachtens ist demnach ökonomischer Natur, während andere Gutachten im Zusammenhang mit Gebäuden primär die technische Qualität als solche zum Gegenstand haben. Ziel eines Schätzungsgutachtens muss es sein, im Rahmen der Toleranzen der Gerichtspraxis (10 bis 15%, in komplexen Ausnahmefällen bis 20%) einen Wert zu ermitteln. Dieser Wert bildet beim Schätzungsgutachten das Substrat für Drittvertrauen. Eine Vertrauenshaftung für den bautechnischen Zustand eines Gebäudes hat sich im Falle eines Schätzungsgutachtens mit anderen Worten darauf zu beschränken, dass der ermittelte Schätzwert unter Vernachlässigung vorhandener baulicher Mängel zustande kommt und somit zu hoch ausfällt. Eine Vertrauenshaftung über diesen Umfang zu bejahen hiesse nichts anderes, als das Wesen eines Schätzungsgutachtens zu verkennen (und aus ihm eine bautechnische Expertise o. dgl. zu machen, was sich nebenbei klar nicht mit dem Auftrag bzw. mit der Bestellung deckt).
Im interessierenden Fall wollten die Käufer aus dem zweijährigen Schätzungsbericht direkt auf die Mängelfreiheit des Gebäudes schliessen. Das Bundesgericht ist aus guten Gründen dieser Auffassung nicht gefolgt, hat sich jedoch zum soeben dargelegten Problemkreis nicht geäussert. Auffällig (bzw. eigentlich folgerichtig) ist am fraglichen Urteil, dass der Schätzwert überhaupt nicht genannt wird, aber von einem mutmasslichen «Schaden» in Höhe von Fr. 63900.– (Sanierungskosten, ermittelt anhand von Bauexpertisen) die Rede ist. Bei dieser Grössenordnung wäre es besonders aufschlussreich gewesen, das Gutachten auf seine eigentliche Genauigkeit hin zu überprüfen. Unter Annahme einer 15%-Maximalabweichung bei einer Verkehrswertschätzung wäre dieser Sanierungsbedarf dann im Rahmen der zulässigen Toleranz, wenn der Verkehrswert über Fr. 426000.– liegt. Träfe Letzteres zu (was nicht unwahrscheinlich scheint), hätte sich der Gutachter im Rahmen dessen geirrt, was ihm das Recht gestattet. Anders herum: Die Käufer hätten dementsprechend den Gegenwert dessen erhalten, was sie als Kaufpreis entrichtet haben. Ein Schaden läge von vornherein nicht vor.
 
     
  Fazit:  
 
Hauskäufer sollten sich stets sehr sorgfältig über den Wert (welcher u. a. vom baulichen Zustand abhängt) ins Bild setzen. Der Verkäufer wird ihnen keine Schätzungsgutachten zeigen, die ihm keine Freude machen.
Gutachter sollten in ihren Berichten lieber etwas zu viel als zu wenig an individuellen Bemerkungen anbringen, allenfalls verbunden mit einem pauschalen Hinweis auf Wesen (Detaillierungsgrad bezüglich Mängeln in der Gebäudesubstanz) und Zweck (Wertermittlung, nicht Baumängelbeschrieb) einer Schätzung.
Verkäufer sollten sich, wie weit gehend üblich, mittels optimaler Vertragsgestaltung vor «Nachwehen» schützen.
 
     
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