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Mit Urteil vom 21. Oktober 2004
(5C.126/2004) hatte das Bundesgericht
einen Fall zu entscheiden, in welchem strittig
war, ob eine Dienstbarkeit infolge
Zweckänderung gelöscht werden dürfe. Die
Klägerin war Eigentümerin eines Grundstückes,
welches mit zwei Dienstbarkeiten
zugunsten der Beklagten belastet war. Der
Errichtungsakt umschrieb den Inhalt der
beiden Dienstbarkeiten wie folgt: «Ein persönliches
Baurecht mit dem Recht, auf dem
belasteten Grundstück Zisternen und Säulen
im Sinne einer Fahrnisbaute gemäss Art.
677 ZGB für den Vertrieb von Treibstoff zu
installieren und zu bewirtschaften, bzw.
bewirtschaften zu lassen.» Ferner: «Ein persönliches
Durchgangsrecht zu Fuss und für
alle Fahrzeuge, welches die normale Bewirtschaftung
der vorgenannten Installationen
erlaubt; dies für das Personal der Berechtigten
als auch für die Kunden der Tankstelle.»
Ursprünglich war von der Beklagten eine
Tankstelle errichtet und während vieler
Jahre betrieben worden. Daneben wurde
auch eine Garage errichtet; der Mieter derselben
führte – neben seiner Tätigkeit als
Garagist – auch die Tankstelle. Auf dem
belasteten Grundstück wurden Fahrzeuge
im Hinblick auf deren Verkauf oder Vermietung
abgestellt. Mitte der Jahre 1990
wurde die Tankstelle stillgelegt; die Garage
wurde aber weiterhin betrieben. Im Jahre
2000 kam es zum Verkauf des belasteten
Grundstückes. Die Erwerberin desselben
wehrte sich gegen den Garagenbetrieb und verlangte die Löschung der beiden Dienstbarkeiten.
Nachdem sie in zweiter kantonaler
Instanz unterlegen war, zog sie das Urteil
weiter ans Bundesgericht.
Gemäss Art. 736 Abs.1 ZGB kann der
Dienstbarkeitsbelastete die Löschung einer
Dienstbarkeit verlangen, wenn sie für das
berechtigte Grundstück alles Interesse verloren
hat. Dies ergibt sich aus dem allgemeinen
Prinzip, wonach der Berechtigte ein
vernünftiges Interesse an der Dienstbarkeit
haben muss. Bei der Beurteilung der Frage,
ob ein Interesse noch bestehe, ist vom
Grundsatz der Identität der Dienstbarkeit
auszugehen; danach darf eine Dienstbarkeit
nur zu dem Zwecke aufrechterhalten werden,
zu welchem sie errichtet worden ist.
Im vorliegenden Fall war daher zu prüfen,
ob die Dienstbarkeit für die Beklagte ein
ihrem ursprünglichen Zweck entsprechendes
Interesse aufweise.
Das Bundesgericht erklärte vorab, dass
in Übereinstimmung mit Art. 738 Abs. 1
ZGB der Grundbucheintrag für den Inhalt
der Dienstbarkeit ausschlaggebend sei,
soweit sich Rechte und Pflichten deutlich
daraus ergeben. Sofern jedoch der Grundbucheintrag
unklar, unvollständig oder –
was oft vorkomme – summarisch sei, müsse
auf andere Interpretationswege ausgewichen
werden, nämlich auf den «Ursprung»
der Dienstbarkeit, mithin auf ihren Errichtungsakt.
Letzterer sei wie alle Willenserklärungen
auszulegen, nämlich entsprechend
dem übereinstimmenden wirklichen Willen der Parteien (Art. 18 OR), bzw. –
sofern dieser Wille nicht dargelegt werden
könne – nach Treu und Glauben. Gegenüber
Dritten jedoch, die nicht Vertragsparteien
waren, sind diese Grundsätze durch
den Gutglaubensschutz des Grundbuches
beschränkt (Art. 973 ZGB). Danach dürfen
individuelle Absichten und Motive der an
der Errichtung der Dienstbarkeit Beteiligten,
welche nicht aus dem Errichtungsakt hervorgehen
und somit für einen Dritten, der
sich in guten Treuen auf das Grundbuch
verlassen hat, nicht erkennbar sind, bei der
Auslegung nicht berücksichtigt werden.
Etwas einfacher ausgedrückt, habe gegenüber
einem Dritten die Auslegung des
Erwerbstitels einer Dienstbarkeit nach dem
Vertrauensprinzip zu erfolgen. Die darin
zum Ausdruck gelangenden Willenserklärungen
der Parteien seien in dem Sinne
massgebend, in dem sie von einem aufmerksamen,
sachlich denkenden Menschen
in guten Treuen verstanden werden können.
Im vorliegenden Fall stellte das Bundesgericht
fest, dass Inhalt und Umfang der
streitigen Dienstbarkeiten klar aus dem
Errichtungsakt hervorgehen: Es handelt sich
um ein Baurecht, welches die Errichtung
von Installationen für den Vertrieb von
Treibstoff (Zisternen und Säulen) beinhaltet,
mit der Berechtigung, auf dem dienenden
Grundstück die Installationen zu nutzen
und zu bewirtschaften. Damit verbunden ist
ein Durchgangsrecht zu Fuss und für alle
Fahrzeuge, welches die normale Bewirtschaftung
der besagten Installationen
erlaubt. Die streitigen Dienstbarkeiten
ermöglichen damit die Bewirtschaftung der
Installationen für den Vertrieb von Treibstoff
auf dem belasteten Grundstück und
damit den Betrieb einer Tankstelle, was den
Durchgang und kurzes Parken der Fahrzeuge der Kunden, des Personals oder der Lieferanten
beinhaltet. Die fraglichen Dienstbarkeiten
dürfen jedoch gemäss dem Vertrauensprinzip
keinesfalls in dem Sinne ausgelegt
werden, dass sie anstatt den Betrieb
einer seit Mitte der Jahre 1990 stillgelegten
Tankstelle, den ausschliesslichen Handel mit
Gebrauchtfahrzeugen erlauben. Der Betrieb
eines solchen Geschäftes beinhaltet das
dauerhafte Parken der zum Verkauf angebotenen
Fahrzeuge und bedeutet eine
offensichtliche Zweckänderung des durch
die Dienstbarkeit gewährten Baurechts.
Damit war für das Bundesgericht offensichtlich,
dass entsprechend dem Grundsatz
der Identität der Dienstbarkeit der derzeitige
Gebrauch der streitigen Dienstbarkeiten
(also der Garagenbetrieb) für die Berechtigte
ein nicht mehr ihren ursprünglichen
Zwecken entsprechendes Interesse aufweist.
Somit war die Klägerin als Dienstbarkeitsbelastete
grundsätzlich berechtigt, die
Löschung der Dienstbarkeiten gemäss Art.
736 Abs. 1 ZGB zu verlangen, es sei denn,
dass das Interesse der Beklagten in einer
vorhersehbaren Zukunft wieder auflebe.
Allerdings müssen mit einer gewissen Intensität
Anhaltspunkte für eine solche Entwicklung
vorhanden sein; es genüge nicht, dass
ein Wiederaufleben theoretisch möglich sei.
Im zu beurteilenden Fall konnte die
Beklagte und Dienstbarkeitsberechtigte
keine Anhaltspunkte für das Wiederaufleben
ihres Interesses dartun, weshalb die
Löschung der Dienstbarkeiten als rechtmässig
betrachtet wurde.
Dieser Entscheid zeigt, wie wichtig es ist,
den Inhalt einer Dienstbarkeit sowohl im
Grundbuch als auch im Errichtungsakt klar
und umfassend zu formulieren. (Zu Dienstbarkeiten
vgl. unser Heft Nr. 8 / September
2004, HEV Winterthur) |
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