|
|
|
|
|
|
Die Haftung des Tierhalters
* Björn Kernen |
|
|
|
|
|
Die Tierhalterhaftpflicht ist im Hinblick auf die Zahl der
publizierten Entscheide von eher geringer Bedeutung. Dies darf aber
nicht darüber hinwegtäuschen, dass zahlreiche Tierhalterhaftpflichtfälle
ausserprozessual erledigt werden. Im Oktober vergangenen Jahres
wurde diesbezüglich wieder einmal höchstrichterlich entschieden
(4C.268/2004). Der Tierhalter ist für Schäden verantwortlich, welche
das Tier aus eigenem Antrieb verursacht. Zur Begründung der
Haftpflicht bedarf es weiter einer Sorgfaltspflichtverletzung. Ein
Verschulden des Haftpflichtigen wird nicht vorausgesetzt, ihm
steht jedoch der Befreiungsbeweis offen. |
|
|
|
|
|
a) Tierhalter
Haftpflichtiger ist jene Person, die objektiv
betrachtet die tatsächliche Möglichkeit
hat, diejenigen Massnahmen zu treffen, die
erforderlich sind, um die nötige Sorgfalt zu
wahren, damit niemand durch Aktionen
oder Reaktionen des Tieres geschädigt wird.
Das Gesetz definiert den Halter nicht eigens.
Als entscheidendes Kriterium wird das
Bestehen eines tatsächlichen Gewaltverhältnisses
über das Tier betrachtet. Das rechtliche
Gewaltverhältnis, etwa die Eigentümerposition,
ist nicht alleine entscheidend. Der
Tierhalter wird üblicherweise auch Eigentümer
sein, diese Eigenschaften fallen aber
nicht notwendigerweise zusammen. Nach
höchstrichterlicher Rechtsprechung wird
auch der abwesende Eigentümer eines Tieres
als Halter betrachtet.
Eine auf die tatsächliche Verfügungsgewalt
abstellende Begriffsbestimmung setzt
stets Besitz des Halters am Tier voraus.
Umgekehrt begründet Besitz jedoch nicht in
jedem Fall Halterschaft. Im Einzelfall ist
ebenfalls entscheidend, wem das Tier dient,
wer es nutzt sowie wer für den Unterhalt
aufzukommen hat.
Setzt der Tierhalter Hilfspersonen, so
etwa Arbeitnehmer, Ehegatten oder Kinder,
ein, haftet er für diese, wie wenn er selbst
gehandelt hätte. Er haftet somit auch,
wenn sich die Hilfsperson schuldlos verhält.
Die Hilfsperson ist von der mehrfachen
Halterschaft zu unterscheiden. Diese liegt
vor, wenn mehrere Personen die tatsächliche
Gewaltausübung innehaben, z.B. bei
Erbengemeinschaften, einfachen Gesellschaften
oder seltener in der Familie. |
|
|
|
|
|
b) Schadensverursachung aus «eigenem» Antrieb des Tieres
Tier im Sinne von Art. 56 OR ist eine
lebende Sache, die gehalten werden kann.
Schäden werden praxisgemäss am häufigsten
durch Hunde, Pferde und Kühe verursacht.
Auch Bienen können gehalten werden,
wobei nicht die einzelne Biene zählt,
sondern der ganze Schwarm. Sonderbestimmungen
gelten bei Jagdwild (Art. 12 f. JSG).
Der Schaden muss vom Tier angerichtet
worden sein. Dies bedeutet, dass es aus
eigenem Antrieb agierte oder reagierte, beispielsweise
durch Ausschlagen oder Beissen.
Kein selbstständiges Verhalten liegt vor, falls das Tier als Werkzeug des Menschen
benutzt wird. Hetzt jemand seinen Hund
auf eine Person, so sind die daraus entstehenden
Schäden nach Art. 41 OR und nicht
nach Art. 56 OR zu ersetzen. Die Tierhalterhaftpflicht
kommt auch dann nicht zum Tragen,
wenn eine fremde physische Kraft auf
ein Tier einwirkt. So beispielsweise, wenn
ein Pferd auf glatter Strasse ausrutscht und
dabei einen Passanten verletzt.
Art. 56 OR findet jedoch immer dann
Anwendung, wenn sich ein Tier seiner
Natur entsprechend verhält, sei dies auch
durch Dritte, ein anderes Tier oder andere
äussere Einflüsse veranlasst. Diesfalls steht
dem Tierhalter unter Umständen der
Regress gegen Dritte offen, welche das Tier
gereizt haben.
Immissionen, insbesondere Lärm und
Geruch, die das Tier durch normale Lebensäusserungen
erzeugt, erfüllen die Voraussetzungen
von Art. 56 OR grundsätzlich
nicht. Derartigen Vorkommnissen kann hingegen
durch die nachbarschaftsrechtlichen
Bestimmungen (Art. 679/684 ZGB) entgegengewirkt
werden. |
|
|
|
|
|
c) Sorgfaltsbeweis
Als weitere Voraussetzung ist eine Verletzung
einer objektiven Sorgfaltspflicht nötig.
Der Tierhalter kann sich nicht darauf berufen,
das allgemein Übliche an Sorgfalt aufgewendet
zu haben. Vielmehr hat er nachzuweisen,
dass er sämtliche objektiv notwendigen
und durch die Umstände
gebotenen Massnahmen getroffen hat.
Bestehen Zweifel über die entlastenden Tatsachen,
so muss die Haftung des Tierhalters
bejaht werden. Die konkrete Sorgfaltspflicht
richtet sich vorab nach geltenden Sicherheits-
und Unfallverhütungsvorschriften.
Fehlen sowohl gesetzliche wie reglementarische
Vorschriften und haben auch private
Verbände keine allgemein anerkannten Vorschriften
erlassen, so ist im Einzelfall auf die
Sorgfalt abzustellen, die nach der Gesamtheit
der konkreten Umstände geboten ist.
Im eingangs erwähnten Bundesgerichtsentscheid
wurde ein fünfjähriges Kind
durch ein ausschlagendes Pferd am Kopf
schwer verletzt. Das weidende Tier war
bloss durch ein einzelnes dünnes, elektrisch
geladenes Plastikband, welches auf einer
Höhe von durchschnittlich 124 cm angebracht
war, eingezäunt. Zum tragischen
Unfall kam es dadurch, dass das 110 cm
grosse Kind ungehindert auf die Weide treten
konnte.
Die Beratungsstelle für Unfallverhütung
in der Landwirtschaft (BUL) hat in den
Empfehlungen für die Haltung von Pferden
eine Mindesthöhe von 150 cm für Umzäunungen
von Pferdeweiden vorgesehen. Des
Weiteren seien gut sichtbare Bänder oder
Holzlatten in einem vertikalen Abstand von
40 cm anzubringen. Das Bundesgericht
hielt fest, dass eine Umzäunung einer Pferdeweide
eine Doppelfunktion wahrnehme.
Der Hauptzweck liege darin, das Pferd am
Verlassen der Weide zu hindern, zugleich
soll sie aber gegen aussen signalisieren,
dass es sich um ein diesen Tieren vorbehaltenes
Gebiet handelt, dessen Betreten für
den Menschen gefährlich sein kann.
Sorgfaltspflichten bezüglich des Haltens
von Hunden sind im Kanton Zürich auf
Gesetzesstufe verankert (LS 554.5). Danach
sind Hunde in öffentlich zugänglichen Lokalen,
in Parkanlagen und auf verkehrsreichen
Strassen an der Leine zu führen. Läufige,
bissige und kranke Hunde sind stets anzuleinen.
Bissige Tiere haben überdies einen
Maulkorb zu tragen. Fällt ein Hund eine
Person oder ein Tier an, hat die Person, die
die Aufsicht ausübt, ihn mit allen zu Gebote
stehenden Mitteln davon abzuhalten.
Misslingt der Sorgfaltsbeweis, kann sich der Tierhalter von der Haftung gemäss Art.
56 Abs. 1 OR befreien, indem er nachweist,
dass der Schaden auch bei Anwendung der
gebotenen Sorgfalt eingetreten wäre. Die
Sorgfaltspflichtverletzung hat stets kausal
für den Schaden zu sein.
Im oben genannten Entscheid wurde
festgehalten, dass eine Umzäunung mit
mehreren breiten Bändern oder Latten entsprechend
den Empfehlungen des BUL den
Unfall verhindert hätte, wäre ein solcher
Zaun vom Kind sehr viel deutlicher als
Absperrung wahrgenommen worden bzw.
als Hindernis, das nur durch Unterschreiten
oder Überklettern hätte überwunden werden
können. |
|
|