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Anfechtung der Beschlüsse der
Stockwerkeigentümergemeinschaft
* Björn Kernen |
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Widerrechtliche Beschlüsse können die Stockwerkeigentümer
innert Monatsfrist vom Richter aufheben lassen. Eine Korrektur
kann grundsätzlich bloss von der Gemeinschaft herbeigeführt
werden. Die Nichtigkeit eines Beschlusses kann unter dem Vorbehalt
des Rechtsmissbrauches jederzeit geltend gemacht werden.
Grundsätzlich ist bei Entscheiden, die gegen die Rechts- oder
Gemeinschaftsordnung verstossen, von einer Anfechtbarkeit
auszugehen. |
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1. Allgemeines
Der Zweck der Anfechtungsmöglichkeit
besteht darin, dem Stockwerkeigentümer,
der sich in der Minderheit befindet, eine
Möglichkeit zu geben, widerrechtliche
Beschlüsse der Gemeinschaft überprüfen zu
lassen. Der Richter kann den angefochtenen
Beschluss bloss auf eine allfällige Rechtsverletzung
überprüfen, die Angemessenheit
desselben bleibt der Prüfung verschlossen. |
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A. Anfechtbarkeit
Widerrechtlich ist ein Beschluss, wenn er
gegen die Rechts- oder Gemeinschaftsordnung
(Begründungsakt, Reglement oder
Hausordnung) verstösst. In der Regel ist bei
solchen Beschlüssen von einer Anfechtbarkeit
auszugehen. Diese bedeutet, dass der
Beschluss solange er nicht nach Art. 712 m
Abs. 2 i. V. m. Art. 75 ZGB angefochten
wurde, rechtlich volle Wirkung entfaltet.
Beispiele dafür sind: |
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das unwillentliche Versäumnis, einen
Stockwerkeigentümer an die Versammlung
einzuladen; |
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ein Beschluss über luxuriöse bauliche
Massnahmen mit qualifiziertem Mehr; |
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Beschlüsse über nicht gehörig traktandierte
Geschäfte; |
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ein Beschluss, der von einer mangels
genügender Anzahl anwesender Eigentümer
nicht beschlussfähigen Versammlung
gefasst wurde; |
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die falsche Verteilung der gemeinschaftlichen
Kosten und Lasten. |
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B. Nichtigkeit
Die Nichtigkeit eines Beschlusses ist
nicht schlechthin anzunehmen. Nach Lehre
und Rechtsprechung bedarf es folgender
Voraussetzungen: |
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Der Beschluss enthält eine gravierende
Widerrechtlichkeit, welche schwer wiegend
die Struktur des Stockwerkeigentums
verletzt; |
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durch den Beschluss werden Bestimmungen
verletzt, welche die Gläubiger
oder das öffentliche Interesse schützen; |
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der Inhalt des Beschlusses ist unmöglich
oder sittenwidrig; |
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der Beschluss verletzt Persönlichkeitsrechte. |
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Die Prüfung des Bestehens eines Nichtigkeitsgrundes
hat nach den konkreten Umständen zu erfolgen. Die Nichtigkeit von
Beschlüssen wird angenommen bei: |
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Versammlungseinberufung durch eine
unzuständige Person; |
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definitivem Entzug des Stimmrechts
eines Stockwerkeigentümers; |
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Verzicht der Stockwerkeigentümer auf
das Anfechtungsrecht; |
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Änderung der Wertquote eines Stockwerkanteils
ohne Zustimmung des betroffenen
Eigentümers. |
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Der Stockwerkeigentümer kann unter
Vorbehalt des Rechtsmissbrauches jederzeit
die Nichtigkeit geltend machen. Selbst
jenem, der dem Beschluss zugestimmt hat,
steht dieses Recht offen. Der Beschluss kann
zu keiner Zeit rechtliche Wirkung entfalten. |
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2. Voraussetzungen der Anfechtung
A. Materielle Voraussetzungen
Die Anfechtung eines Beschlusses ist erst
möglich, wenn dieser tatsächlich gefasst
wurde. Solange kein Beschluss vorliegt, kann
der Richter auf die Anfechtungsklage mangels
Rechtsschutzinteresses nicht eintreten.
Der angefochtene Beschluss muss von der
Stockwerkeigentümerversammlung, einem
Delegierten oder einem Ausschuss gefällt
worden sein. Beschlüsse des Verwalters können
grundsätzlich nicht Gegenstand einer
Anfechtungsklage sein. Ausnahme bildet die
Anfechtung einer vom Verwalter verhängten
Busse, welche intern nicht beschwerdefähig
ist. Anfechtungsobjekt kann ein Zirkulationsbeschluss
wie auch eine Urabstimmung sein.
Bei einstimmigen Beschlüssen kann der Kläger
bloss noch einen Willensmangel geltend
machen. Bevor der Stockwerkeigentümer
ans Gericht gelangen kann, hat er den internen
Beschwerdeweg zu befolgen. Können
Beschlüsse des Delegierten oder des Ausschusses
an der Stockwerkeigentümerversammlung
angefochten werden, muss diese
Möglichkeit vorerst ausgeschöpft werden.
Wie oben erwähnt, kann ein Beschluss der
Gemeinschaft nur angefochten werden, falls
er widerrechtlich ist. Eine Einschränkung des
Anfechtungsanspruches kann in einem
begrenzten Mass eingeführt werden. So ist
es beispielsweise möglich, durch eine gegenseitige
schriftliche Vereinbarung ein Schiedsgericht
für allfällige Anfechtungen einzuberufen. |
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B. Legitimation
Zur Einreichung einer Anfechtungsklage
sind die Stockwerkeigentümer berechtigt,
selbst wenn sie an der Versammlung
weder anwesend noch vertreten waren.
Wenn ein Anteil in gemeinschaftlichem
Eigentum steht oder wenn er durch eine
Nutzniessung oder ein Wohnrecht belastet
ist, haben sich die betroffenen Personen
über die Ausübung des gemeinsamen
Stimmrechts zu einigen. Die Stimmabgabe
durch den Vertreter des Stockwerkanteils
wird den Vertretenen angerechnet, weshalb
eine Anfechtung nicht in Frage kommt.
Ist der Verwalter zusätzlich Stockwerkeigentümer,
steht auch ihm die Anfechtung
offen. In allen übrigen Fällen ist er nicht
aktivlegitimiert. Als Vertragspartner der
Stockwerkeigentümergemeinschaft ist er
nicht Teil der Willensbildung und hat somit
die Entscheidungen dieser zu akzeptieren.
Diese Meinung ist in der Lehre nicht unumstritten.
Passivlegitimiert ist stets die Stockwerkeigentümergemeinschaft.
Dies gilt selbst,
wenn der Beschluss eines Ausschusses
Gegenstand einer Anfechtung bildet. |
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C. Formelle Voraussetzungen
Die Anfechtungsklage ist am Ort der
gelegenen Sache einzureichen (Art. 19 Abs. 1 lit. b GestG). Es handelt sich nicht um
einen zwingenden Gerichtsstand, weshalb
eine Gerichtsstands- oder Schiedsgerichtsklausel
zulässig ist.
Die Anfechtungsklage muss innert
einem Monat nach Kenntnisnahme des
Beschlusses erfolgen (Art. 75 ZGB). Die Frist
beginnt mit dem Zeitpunkt zu laufen, in
welchem dem Stockwerkeigentümer der
gesamte Beschluss eröffnet wird. Sie läuft
ungeachtet dessen, ob dieser die Widerrechtlichkeit
erkennt oder nicht. Es ist daher
ratsam, allen Eigentümern unverzüglich ein
vollständiges und transparentes Protokoll
zuzustellen. |
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3. Wirkung des Urteils
Der Richter kann bei Erfüllung aller Voraussetzungen
den Beschluss bloss aufheben.
Eine Korrektur des Entscheides kann
durch ihn nicht vorgenommen werden. Die
Gemeinschaft hat demzufolge einen neuen
Beschluss zu fassen. Art 647 Abs. 2 Ziff. 1
ZGB bildet dazu eine Ausnahme, da der
Richter eine notwendige Verwaltungshandlung
anordnen kann, wenn die Eigentümerschaft
beschlossen hat, nichts zu unternehmen.
Durch die Aufhebung wird der
Beschluss rückwirkend für ungültig erklärt,
das heisst, er konnte während keiner Zeit
eine Rechtswirkung entfalten. |
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