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Was der Hauseigentümer wissen sollte
* Dr. Jost A. Studer |
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Mehrmals erlebten wir in letzter Zeit über die Medien die Auswirkung
von Erdbeben in anderen Ländern. Wir stellen uns natürlich die Frage:
Sind solche Ereignisse in der Schweiz überhaupt möglich, und mit welchen
Auswirkungen muss ich dabei rechnen? |
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Erdbebengefährdung in der Schweiz
Die Schweiz weist im Vergleich mit andern
Ländern eine mittelstarke seismische Gefährdung
auf. Sie ist zum Beispiel grösser als diejenige
in Deutschland oder Skandinavien, aber
kleiner als in der Türkei oder in Griechenland.
Trotzdem sind auch bei uns starke Erdbeben
möglich, jedoch seltener als in Gebieten mit
einer grossen Gefährdung. Das grösste dokumentierte
historische Ereignis nördlich der
Alpen ist das «Basler Beben» von 1356. Dieses
Erdbeben wurde praktisch in der ganzen
Schweiz verspürt und richtete weitgehend
grosse Schäden an. Die Schweizer Rückversicherung
schätzte 1988 die Schadensumme,
die ein Erdbeben der Grösse des Baslers
Bebens in der heutigen Zeit gesamtschweizerisch
verursachen würde. Sie ermittelte dabei
einen Gebäudeschaden von 35 Mia. und
eine Gesamtschadensumme von 80 Mia. Ein
Betrag, der ca. 27% des schweizerischen Bundeshaushaltes
von 1988 ausmachen würde.
Das Basler Erdbeben war ähnlich stark wie
dasjenige von Kobe (Japan) im Jahre 1995,
welches gegen 5800 Tote forderte.
Die seismisch aktiveren Gebiete der
Schweiz sind bekannt. Es sind dies der Kanton
Wallis, der Grossraum Basel, das Engadin und
das St.Galler Rheintal. Weitere Informationen
zur Erdbebengefährdung der Schweiz finden
sich auf der Homepage des Schweizerischen
Erdbebendienstes (SED)**, welcher zu den
weltweit führenden Erdbebeninstituten gehört.
Die tatsächliche Stärke der Erdbebenerschütterungen
an einem bestimmten Standort
hängt einerseits von der Stärke des Ereignisses
sowie der Distanz vom Erdbebenherd
zum Standort, andererseits aber auch von
den lokalen Untergrundverhältnissen ab. Das
heisst, die Erschütterungen infolge eines
bestimmten Erdbebenereignisses können
kleinräumig sehr stark variieren. |
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Für Schäden ist die Verletzlichkeit der
Bauten massgebend
Neben der Stärke der Erdbebenerschütterungen
am Standort ist die so genannte «Verletzlichkeit» der Bauten (Schadenempfindlichkeit
auf Erdbebeneinwirkungen) für
potenzielle Schäden am Bau massgebend.
Traditionsgemäss sind Bauten aufgrund der
ingenieurmässigen statischen Berechnungen
weitgehend lediglich auf vertikale Lasten, mit
Ausnahme der horizontal wirkenden Windkräfte,
ausgelegt. Bei Erdbeben treten aber
auch grosse horizontale Bewegungen auf, die
früher in den statischen Berechnungen nicht
berücksichtigt worden sind, da die Erdbebengefährdung
in den Baunormen nicht enthalten
war.
Für die Erlassung von Baunormen ist
in der Schweiz der Schweizerische Ingenieur- und Architektenverein (SIA)** verantwortlich.
Die Erfassung der Erdbebeneinwirkungen
nach heutigen modernen Gesichtspunkten
wurde dabei erst seit der SIA-Norm 160
von 1989 eingeführt. Das heisst, dass vor
1989 erstellte Bauten nicht nach modernen
Gesichtspunkten bemessen worden sind und
deshalb deren Erdbebensicherheit unbekannt
und zum Teil ungenügend ist.
Selbst das Einhalten der heutigen Normen
des SIA ist mit Ausnahme der Kantone Basel-
Stadt, Freiburg, Nidwalden und Wallis jedoch
nicht gesetzlich vorgeschrieben. In einem
Schadenfall wird sich aber der Richter die Einhaltung
der SIA-Normen als Massstab zur
Beurteilung der Berücksichtigung des Standes
der Technik («Regeln der Baukunde») einbeziehen.
Es ist deshalb wichtig, dass Bauherren
bei der Beauftragung von Bauarbeiten das
Einhalten der SIA-Normen vertraglich verlangen.
Seit 1. Januar 2003 sind zudem neue
Normen des SIA in Kraft, welche die alten
ersetzen. |
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Massnahmen bei Neubauten
Erdbebengerechte Bauweise führt bei
Neubauten erfahrungsgemäss zu vernachlässigbaren
Mehrkosten. Wenn Architekt und
Ingenieur von Anfang an eng zusammenarbeiten
und der Ingenieur moderne Verfahren
(Kapazitätsbemessung und verformungsorientiertes
Verfahren) verwendet, betragen
die Mehrkosten im Allgemeinen lediglich 0
bis 1 Prozent der Baukosten. Eine gute Übersicht
mit einer entsprechenden Checkliste gibt
das Merkblatt «Erdbebensicheres Bauen in
der Schweiz»**. |
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Massnahmen bei bestehenden Bauten
Eine direkte gesetzliche Grundlage mit der
Pflicht, bestehende Bauten auf die neusten
technischen Erkenntnisse zu ertüchtigen,
besteht zurzeit nicht. Allerdings ist der Hausbesitzer
verantwortlich, dass Dritte durch sein
Bauwerk nicht geschädigt werden. Das heisst,
dass der Hauseigentümer eine bestimmte
Verantwortung hat, die bestehenden Bauten
in einem bautüchtigen Zustand zu erhalten.
Es ist heute unbestritten, dass mindestens
bei Umbauten (mit Eingriffen in die
Tragstruktur) die Erdbebensicherheit nach
neusten Erkenntnissen überprüft werden
muss.
Die Ertüchtigung bestehender Bauten
kann aufwendig und kostspielig, unter Umständen
auch nicht möglich sein. Deshalb ist
ein pragmatisches Vorgehen sinnvoll: |
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Nach 1989 erstellte Bauten sollten gemäss
den SIA-Normen auf Erdbeben dimensioniert
worden sein. Es genügt deshalb,
beim Architekt/Ingenieur nachzufragen,
ob die SIA 160 (1989) angewandt wurde. |
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Für Bauten, deren Erdbebensicherheit
nicht bekannt ist, gibt das SIA-Merkblatt 2018** ein pragmatisches Vorgehen. Es
enthält einen Minimalstandard zur Beurteilung,
ob ein bestehendes Gebäude
unverändert akzeptiert werden kann oder
ob und in welchem Umfang bauliche
Massnahmen zur Erfüllung der Erdbebensicherheit
notwendig sind. |
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In der Praxis hat es sich bewährt, vor den
rechnerischen Nachweisen eine erfahrungsbasierte
Beurteilung des Tragverhaltens als
Triage vorzuschalten, um so sich auf wirklich
notwendige Problembauten zu beschränken.
Allerdings erfordert diese Beurteilung grosse
Erfahrung bezüglich möglichen Schäden
unter Erdbebenlasten. Ein Hilfsmittel ist die
Richtlinie, welche vom Bundesamt für Wasser
und Geologie erarbeitet worden ist und zur
Überprüfung der bundeseigenen Bauten verwendet
wird**. |
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** Weitere Informationen: |
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www.seismo.ethz.ch; Schweizerischer
Erdbebendienst (SED),
ETH-Hönggerberg, Zürich |
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Norm SIA 160 (1989) / Norm SIA 261
(seit 1. Januar 2003): «Einwirkungen auf
Tragwerke»; Schweizerischer Ingenieur- und
Architektenverein, Zürich |
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Erdbebensicheres Bauen in der Schweiz
(Oktober 2005); Stiftung für Baudynamik und
Erdbebeningenieurwesen (www.baudyn.ch)
in Zusammenarbeit mit Bundesamt für Wasser und
Geologie, BWG |
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Beurteilung der Tragsicherheit bestehender
Bauwerke auf Erdbeben (Merkblatt 2018);
Schweizer Ingenieur- und Architektenverein,
Verlag SIA, 2004 |
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Beurteilung der Erdbebensicherheit bestehender
Gebäude, Konzept und Richtlinien (2003–2005);
Bundesamt für Wasser und Geologie, BWG,
Koordinationsstelle für Erdbebenvorsorge |
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* dipl. Ing. ETH/SIA, Studer Engineering, Zürich |
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