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Obstbaum-Grundwissen
* Gernot Grueber |
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Geht es Ihnen auch so, dass Sie nach
jeder Zweit- oder Drittmeinung noch mehr
verunsichert sind, weil jede etwas anderes
«meint»? Vielleicht liegt es daran, dass es
eine Meinung, eine persönliche Interpretation
und nicht fundiertes Wissen ist, das da
auf Sie losgelassen wird.
Also versuchen wir, es «gründlich» zu
machen, der Sache «auf den Grund zu
gehen».
Jede Pflanze hat einen Erbcharakter, das
in den Chromosomen festgelegte Erbgut.
Das ist das Lebenswerkzeug, mit dem ein
Lebewesen Lebensumständen gegenübersteht
und sie verarbeiten, bewältigen muss.
Im Erbgut ist festgelegt, wie schnell eine
Pflanze wächst, wie die Endgrösse, die
Wuchsform, das Laub usw. aussehen können,
ja, können. Bis hierher ist das einfach
zu verstehen.
Jetzt kommen die Umweltfaktoren
hinzu: der Boden, das Klima, die Höhenlage,
nördliche oder südliche Lage, die Niederschläge
in ihrer Menge und Verteilung
das Jahr hindurch, die Nährstoffversorgung.
All diese äusseren Umstände wirken auf
den Erbcharakter verändernd ein und
machen aus dem Erbcharakter ein Erscheinungsbild.
(Fachchinesisch: Die Umweltfaktoren
modifizieren den Gentyp und machen
aus ihm einen Phaenotyp.)
Am Anfang ist die Wurzel. Wurzelwachstum
schafft die Voraussetzung für
weitere Entwicklung. Starkes Wurzelwachstum bewirkt nachfolgend starkes Triebwachstum
und dementsprechend auch eine
grosse Endgrösse. Umgekehrt beschert
schwaches Wurzelwachstum auch schwaches
Triebwachstum und dementsprechend
eine bescheidene Endgrösse. Das hört sich
wieder ganz einfach an, bis wir feststellen,
dass Wachstum und Fruchtbarkeit in
gegenseitigem Konkurrenzverhältnis stehen.
Wachstumsimpulse zwingen den
Baum zu wachsen, nämlich Triebe, Äste und
Blätter zu bilden.
Die Blätter sind eine chemische Fabrik, in
der Assimilate, Kohlehydrate, bereitgestellt
werden, die in Form von Holzstoff und Zellstoff
für den Kronenaufbau gebraucht werden,
und zwar so lange, wie das Wurzelwachstum
das oberirdische Wachstum
«anheizt». Langsam lässt dann das Wurzelwachstum
nach, es ist eine grosse, reich
belaubte Krone entstanden, es werden
mehr Assimilate gebildet, als der Baum für
den Kronenaufbau benötigt. Sein «Cashflow-
Überschuss» kann in Fruchtbarkeit
investiert werden. Das funktioniert nicht,
wie man einen Schalter umlegt «hell oder
dunkel». Das wirkt eher wie ein Dimmer.
Das langsame Überhandnehmen der Assimilateproduktion
bewirkt eine Veränderung
in der Zusammensetzung der Energieströme,
bis auf dem Höhepunkt des Pflanzenlebens
Triebimpuls (Rohnährstoffstrom) und
Fruchtbarkeitsimpuls (Assimilatebildung)
ins Gleichgewicht kommen. In diesem Stadium
macht der Baum genügend Neutrieb,
obwohl er reich fruchtet. Physiologisches
Gleichgewicht könnte man diesen Zustand
nennen. |
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Jetzt ist auch klar, weshalb ein stark wachsender Baum oft mehrere Jahre braucht, bis die physiologische Waage in die Fruchtbarkeit kippen kann, und weshalb ein Baum, der auf einer stark wachsenden Wurzel veredelt ist, nicht durch Schnitt beliebig klein gehalten werden kann, oder weshalb konstanter Rückschnitt einen Baum zu immer neuem Wachstum (und nicht zu Fruchtbarkeit) zwingt. Umgekehrt ist auch klar, dass eine «schwach wachsende » Veredlungswurzel (zur Erinnerung: Wurzelwachstum ist primär) dem Wesen Obstbaum erstens schwächeres Wachstum, frühere Fruchtbarkeit und kleinere Endgrösse diktiert. Dazu kommt, dass dieses Erbgut auch zur Folge hat, dass das Wurzelwachstum sich schneller erschöpft und damit die Lebensdauer des Baumes vermindert. |
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Angenommen, Sie haben einen Obstbaum im Garten, der stark wächst und nicht fruchten will, können Sie ihn nicht durch Rückschnitt zur Fruchtbarkeit zwingen. Er wird zuerst das verlorene (abgeschnittene) Volumen kompensieren und dann, wenn die Zeit im Jahresablauf noch reicht, Blütenknospen fürs nächste Jahr bilden. Wenn dieser Assimilateüberschuss nicht bis Ende Juni erreicht wird, trägt der Baum im nächsten Jahr nicht. Juni/Juli sind die Monate, in denen die Fruchtbarkeit fürs kommende Jahr entschieden wird. Nicht durch Rückschnitt, sondern durch das «Waagerechtheften » der nicht zum Formaufbau nötigen Äste kann Fruchtbarkeit ausgelöst werden. Dieses Herunterheften darf natürlich nicht zulasten eines stabilen Kronenaufbaues gehen. Wir wollen tragfähige Äste, die die Verwendung von Obstbaumstützen überflüssig machen. Ohne Rückschnitt können Triebspitzen in Blütenknospen gipfeln, die im kommenden Jahr voller Früchte sind und die Fortsetzungen der Leitäste nach unten ziehen. Stabiler Kronenaufbau heisst, dass die Leitäste immer um einen Drittel bis einen Viertel des jeweiligen Jahreszuwachses eingekürzt werden müssen. Je steiler ein Ast oder ein Zweig steht, umso stärker wirkt in ihm der Triebimpuls. Je flacher er steht, umso stärker wirkt der Fruchtbarkeitsimpuls. Folgerung: Wollen Sie einen Baum (oder eine Astpartie) zur Fruchtbarkeit zwingen, erreichen Sie das nicht durch Rückschnitt, sondern durch das Waagrechtheften möglichst vieler Zweige. Wollen Sie einen zu stark wachsenden Baum möglichst bald fruchtbar machen, sollten Sie danach trachten, so wenig wie möglich abzuschneiden.
Bis in die 50er-Jahre ruhten die Experimente um «typisierte» Veredlungsunterlagen der Obstbäume. Heute kommen immer neue hinzu, mit denen keine Langzeiterfahrungen vorliegen. Zuerst war bei den Apfelunterlagen eine grosse Zunahme der Typen festzustellen. Bei den Birnen ist die Quittenunterlage schon lange als «schwach wachsende» Wurzel bekannt. Bei den Steinobstbäumen wurde in mageren Böden eher die Myrobalane und in besseren Böden die St.Julien-Pflaume verwendet. Ob bei den Kirschbäumen die typisierten Unterlagen schon ein kleingartenmässig vermindertes Wachstum garantieren? Die F12/I ist so eine vegetativ vermehrte typisierte Kirschbaumwurzel.
Vieles wird angeboten und angepriesen. Bei den neueren Produkten kann manches wohl als marktreif bezeichnet werden, aber es liegen noch keine Langzeiterfahrungen vor. Vermehrt kommen schwach wachsende Obstsorten auf den Markt. Ich denke, wir sind da immer noch auf der Experimentierseite und können sowohl erfolgreiche als auch enttäuschende Erfahrungen machen. |
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