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HEV 2/2006 Inhaltsverzeichnis
Unser Garten

     
  Mögen Sie Kartoffeln? – Oder vom
Fundamentalismus im Garten
* Barbara Scalabrin-Laube
 
     
  Um es gleich vorweg zu nehmen: Ich habe Mühe mit Menschen, die – egal in welchem Bereich – genau wissen, was richtig und falsch ist, wo die Grenzen zu ziehen sind und wer Recht hat. Wenn mir jemand beispielsweise erzählt, dass er in seinem Garten nur einheimische Pflanzen zulasse, stelle ich manchmal die Frage, ob er oder sie denn keine Kartoffeln, keine Tomaten, keine Peperoni, keinen Mais usw. esse. Mit meiner Frage mache ich darauf aufmerksam, dass die Grenzen zwischen einheimischen und eingeführten Pflanzen schwer zu ziehen sind und konsequentes Verhalten nicht immer praktikabel ist.
Geht man in der Geschichte der Menschheit nämlich zurück und betrachtet z.B. Bilder von ägyptischen Grabmälern, wird einem bewusst, dass der Mensch die Schönheit der Pflanzenwelt schon früh entdeckte und Pflanzen nicht nur wegen ihrer Nutzbarkeit als Nutz- und Heilpflanzen, sondern auch wegen ihrer Schönheit kultivierte. Dass er dabei seinen Garten mit einem Zaun schützte und so von der unkultivierten Nachbarschaft abgrenzte, ist verständlich. Nur so konnte er die gefrässigen Tiere fern halten und den Pflanzen Schutz bieten. Je wohlhabender die Menschen indes wurden, desto mehr blieb ihnen Raum für dekorative Pflanzen.
Blättert man in Büchern zur Gartengeschichte, fällt einem schnell auf, dass die Pflanzen auch Modeströmungen unterworfen sind und oft die Struktur eines Gartens beeinflussen. Denken Sie doch an die «Tulipomania», die in Westeuropa ausbrach, nachdem Ogier Ghiselin de Busbecq, der Botschafter von Kaiser Ferdinand I., 1554 enthusiastisch über die farbigen Blüten berichtete, die er schon im Winter auf dem Weg nach Konstantinopel gesehen hatte. Tulpen, Hyazinthen und Narzissen hatten seine Aufmerksamkeit erregt. Diese waren aus Persien und Zentralasien in die Türkei eingeführt und als Zierpflanzen in grosser Vielfalt kultiviert worden. In Westeuropa brach schon bald darauf ein wahres Tulpenfieber aus. Die exotischen Zwiebelpflanzen mit den verschiedenen Blütenfarben wurden zu horrenden Preisen gehandelt (manchmal auch gestohlen) und in extra angelegten Schaubeeten den Gästen präsentiert.
 
     
 
Einheimische und Zugezogene in guter Gesellschaft.
 
     
  Wollten Sie in Ihrem Garten nur einheimische Pflanzen anbauen, müssten Sie also neben den Kartoffeln (wurden in der Schweiz erst ab dem 18. Jahrhundert angebaut) auch auf die Tulpen und viele andere Prachtstauden und Gehölze verzichten. Auch ihr Gemüseteller wäre beschränkt. Sie fänden Endivien, Rüben, Hülsenfrüchte, Spinat, Zwiebeln, Mangold und Kohl (Albert Hauser: Vom Essen und Trinken im alten Zürich. Zürich 1962).
Nun, Sie werden mit Recht behaupten, dass Kartoffeln wohl kaum mehr als exotisches Gemüse betrachtet werden können, aber gleichzeitig werden Sie meine Einwände gegen den Fundamentalismus im Garten verstehen, denn die Frage, nach wie vielen Jahren eine Pflanze oder auch ein Tier als einheimisch bezeichnet werden kann, ist nicht mit einer Jahrzahl zu beantworten.
 
      Bis zur Mitte des 16. Jahrhunderts wurden in den westeuropäischen Gärten beinahe ausschliesslich in Europa einheimische Pflanzen als Nutz-, Heil- oder Zierpflanzen angebaut. Mit den Kontakten zum ottomanischen Reich und der Aufnahme politischer Beziehungen mit Konstantinopel änderte sich dies rasant. Der oben erwähnte Busbecq sandte nicht nur Tulpenzwiebeln, sondern auch Samen von Rosskastanien (Aesculus hippocastanum, ursprünglich aus Bulgarien und dem Balkan) und Flieder (Syringa vulgaris, Südwestasien, Rumänien und Albanien) nach Europa.  
 
Caltha palustris «Alba» Sumpfdotterblume aus Europa, Asien, Nordamerika, Neufundland bis Alaska.
   
       
  Gleichzeitig gelang es dem Botschafter, für Kaiser Maximilliam II. ein zuvor verloren geglaubtes botanisches Werk «De Materia Medica» von Discorides (geschrieben im Jahr 512) zu erwerben. Der Ehrgeiz der auf Botanik erpichten Gelehrten in Europa war geweckt, denn sie wollten die 700 Pflanzen, die Discorides beschrieben hatte, finden. Eine wahre Lawine wurde ausgelöst. Das wissenschaftliche Interesse an Pflanzen wuchs. Erste botanische Gärten wurden gegründet. Wer etwas auf sich hielt, liess in seinem Garten seltene und neu eingeführte Pflanzen anbauen. Die Neulinge wurden akklimatisiert und vermehrt. Wenn sie sich als gartenwürdig erwiesen, wurden sie selektioniert und gezielt gärtnerisch weiter bearbeitet (lies gekreuzt und verbessert). Die Freude am Neuen, Unbekannten, Exotischen und Exquisiten, die Möglichkeit, in ferne Länder zu reisen, und die Lust am Abenteuer führten zu den berühmten Pflanzenexkursionen, die bis in unsere Zeit weitergeführt werden. Auf diese Weise kamen und kommen noch immer Neuheiten auf den Markt und verschwinden manchmal bald wieder, weil sie doch nicht halten, was von ihnen erwartet wurde.
 
      Es ist verständlich, dass im Lauf der Geschichte immer wieder Gegenbewegungen entstanden, sich Menschen gegen die Überzahl der «Exoten» in unseren Gärten wehrten und wohl zu Recht auf die Schönheiten der einheimischen Flora aufmerksam machten. Zudem entwickelten sich einige Gartenflüchtlinge als brutale Verdränger der einheimischen Pflanzen; man denke bloss an die kanadische Goldrute (Solidago canadensis, Neufundland bis Südamerika), den Riesenkerbel (Heracleum mantegazzianum, Südwestasien) oder die Balsamine (Impatiens balsamine, Indien, Malakka und China), die sich zu einem kaum auszurottenden Unkraut entwickelt haben.
Wenn Sie nun denken, ich verachte die einheimische Flora, so täuschen Sie sich. Ich nehme mit Vergnügen an botanischen Exkursionen teil und freue mich, wenn ich auf meinen Spaziergängen Pflanzen entdecke, die mir noch nie aufgefallen sind.
 
 
Lysichiton americanus aus Alaska, Oregon, Kalifornien.
   
       
  So warte ich momentan darauf, bis Ende Februar im Südtessin an einem Wildstandort die Christrosen (Helleborus niger, Südosteuropa) blühen und ich an der Thur die erste gemeine Pestwurz (Petasites hybridus, Europa, Nord- und Westasien) finde. Gleichzeitig suche ich im Garten neben den Alpenveilchen (Cyclamen coum, Südosteuropa) auch die blauen Blüten der Leberblümchen (Hepatica nobilis, Europa und Ostasien). Während sich die eingeführten Cyclamen langsam zu einem hübschen Teppich ausbreiten, habe ich Mühe, für die einheimischen Leberblümchen den richtigen Platz im Garten zu finden. Sie wachsen nur kümmerlich, obwohl ich geglaubt habe, ich hätte ihre Bedürfnisse am Naturstandort genau studiert. Vermutlich ist unser Boden zu wenig kalkhaltig und zu wenig durchlässig.
Mit diesem Beispiel möchte ich veranschaulichen, dass in unserem Garten Platz für einheimische, eingebürgerte und neu eingeführte Pflanzen ist, dass diese sich zu einer harmonischen Gesellschaft zusammenfügen lassen, wobei ich mir bewusst bin, dass die Harmonie die Hand der Gärtnerin oder des Gärtners bedingt, denn wenn ich alles wild wachsen liesse, würden einige Pflanzen schnell überhand nehmen. Als Beispiel kommt mir der Bärlauch (Allium ursinum, Europa, Kleinasien, Kaukasus, Sibirien) in den Sinn, den ich einst pflanzte und der sich zu einem nicht ausrottbaren Unkraut entwickelt hat. Aber auch die Sämlinge der Strauchpfingstrose (Paeonia lutea, China, Tibet) würden den Garten in Kürze in einen Urwald verwandeln, wenn wir diese nicht laufend verschenkten. Letztere sind allerdings weniger wüchsig, seit die Eichelhäher den Nährwert der Samen entdeckt haben und das exotische Futter mit Genuss verzehren.
Für uns sind der richtige Standort und das daraus entstehende harmonische Bild einer Pflanzengesellschaft zu einem wichtigen Kriterium in unserem Garten geworden, wichtiger als die Frage, ob einheimisch oder nicht. Wenn ich an unsere vielen kleinen Laubfrösche denke, die sich im Sommer jeweils besonders gern auf den Blättern der Rhododendren (Westhimalaya, Westchina, Tibet) sonnten, bin ich fast sicher, dass sich Fundamentalismus – ob im Garten oder anderswo – nicht lohnt. Übrigens: Unsere Laubfrösche gehören der Vergangenheit an, nicht etwa, weil sie sich auf den Rhododendren vergifteten, sondern weil die einheimische Ringelnatter, die sich bei uns breit machte, beinahe alle Wasser- und Laubfrösche gefressen hat!
 
     
  * Im Cottage Garten, 8453 Alten  
     
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