|
|
|
|
|
|
Der Tod des Mieters * Alessandra Perrella |
|
|
|
|
|
Im schweizerischen Erbrecht geht man vom System der
Universalsukzession (Gesamtnachfolge) aus. Dies bedeutet, dass mit
dem Tod des Erblassers der gesamte Nachlass – sämtliche
Vermögenswerte und Schulden – von Gesetzes wegen auf die Erben
ohne ihr Zutun übergeht. Dies gilt auch dann, wenn die Erben
unbekannt sind oder keine Kenntnis vom Erbgang haben. Bei einer
Mehrheit von Erben hat der einzelne keine individuellen Rechte
an den Erbschaftssachen, sondern die Erben bilden eine Gemeinschaft
und sind als solche am Nachlass berechtigt. Für das Mietrecht
bedeutet dies, dass der Tod des Mieters – wie übrigens auch des
Vermieters – das Mietverhältnis grundsätzlich nicht beendet,
sondern auf alle Erben gemeinsam übergeht. Die sich daraus ergebenden
Fragestellungen werden im Folgenden erläutert. |
|
|
|
|
|
Weil die Erben an die Stelle des Mieters
treten, haften sie solidarisch für den Mietzins.
Die Haftung der Erben beschränkt sich
nicht nur auf die bereits fälligen, sondern
erstreckt sich auch auf die zukünftigen
Mietzinsforderungen. Daneben haften die
Erben auch für die Schäden, die der verstorbene
Mieter am Mietobjekt verursacht hat.
Sind mehrere Parteien Mieter und stirbt der
eine Mitmieter, so wird das Mietverhältnis
einerseits mit der überlebenden Mietpartei
und andererseits mit den Erben weitergeführt.
Dadurch, dass die Erben nicht nur mit
dem Vermögen des Erblassers, sondern
auch mit dem persönlichen Vermögen haften,
kann dies unter Umständen zu einer
Verbesserung der Gläubigerstellung führen
(Art. 603 Abs. 1 ZGB). |
|
|
|
|
|
Ausserordentlich für die Erben
Beim Tod des Mieters sieht Art. 266i OR
ein ausserordentliches Kündigungsrecht
der Erben vor, da diese mehrheitlich kein
Interesse an der Fortführung des Mietverhältnisses
haben. Eine Berechtigung des
Vermieters, das Mietverhältnis ausserordentlich
zu kündigen, sieht das Gesetz
nicht vor. Die ausserordentliche Kündigung
der Erben ist unter Einhaltung der gesetzlichen
Frist auf den nächsten gesetzlichen
Termin möglich. Da diese Kündigungsmodalitäten
denjenigen der ordentlichen Kündigung
für Wohnräume gemäss Art. 266c
OR entsprechen, ist diese ausserordentliche
Kündigung faktisch nur dann von Bedeutung,
wenn vertraglich längere Kündigungsfristen
vereinbart wurden oder wenn
es sich um einen befristeten Mietvertrag
handelt. Damit die Kündigung gültig ist,
bedarf es eines einstimmigen Beschlusses
der Erben und eines allfälligen Mitmieters.
Handelt es sich beim Mietobjekt um eine
Familienwohnung, ist es strittig, ob der
überlebende Ehegatte ebenfalls der Kündigung
zustimmen muss, wenn er nicht
Mitmieter war, da die Anwendung von Art. 266m OR eine Familienwohnung voraussetzt
und dies im eigentlichen Sinne
gar nicht mehr vorliegt, da die Ehe mit dem
Tod eines Ehegatten aufgelöst wird. Diese
Streitfrage kann jedoch offen bleiben, da
der überlebende Ehegatte auch immer Erbe
ist und somit der Kündigung so oder so
zustimmen muss. Die Erben müssen die
Kündigung spätestens auf den erstmöglichen
Kündigungstermin aussprechen. Lassen
die Erben diesen ungenutzt verstreichen,
so verwirkt das ausserordentliche
Kündigungsrecht. Stirbt ein Mieter jedoch
kurz vor dem Kündigungstermin oder
erfahren die Erben erst spät von dessen
Tod, so ist den Erben eine angemessene
Überlegungsfrist einzuräumen. In einem
solchen Fall sollte die ausserordentliche
Kündigung auf den nächsten Termin noch
zugelassen werden. Die Erben haben
jedoch immer noch die Möglichkeit, das
Mietobjekt vorzeitig zurückzugeben und
einen zumutbaren Nachmieter zu stellen. |
|
|
|
|
|
Die Erbengemeinschaft –
keine einfache Gesellschaft
Die Kündigung und Rückgabe einer
Wohnung kann sich jedoch problematisch
erweisen, wenn nicht alle Erben erreichbar
oder bekannt sind. Eine gültige Kündigung
ist in einem solchen Fall mangels Willensbildung
aller Erben gar nicht möglich. Es
sind zwar gesetzliche Vertretungen vorgesehen
(Erbschaftsverwaltung, Erbenvertretung
oder Beistandschaft), diese staatlichen
Eingriffsmöglichkeiten können zu einer
unnötigen Zeitverzögerung führen. Die
Lösung dieses Problems gestaltet sich
unterschiedlich, ob gar kein Erbe oder nur
einzelne bekannt sind: Ist auch nur ein Erbe
bekannt, so sollte es für diesen möglich
sein, nach den Regeln über die Geschäftsführung
ohne Auftrag (Art. 419 ff. OR)
alleine die Rückgabe der Mietsache an die
Hand zu nehmen, wenn es an einem objektiven
erkennbaren Interesse der anderen
Erben an der Fortführung des Mietverhältnisses
fehlt. Sind gar keine Erben bekannt,
so kann sich die für den Vermieter unangenehme
Situation ergeben, dass die Mietzinse
nicht mehr bezahlt werden und auch
keiner die Wohnung kündigt. Der Tod des
Mieters schliesst jedoch nicht aus, dass der
Vermieter gemäss Art. 257d OR wegen
Zahlungsverzug ausserordentlich kündigen
kann. Natürlich muss er dabei die gesetzlichen
Vorschriften und Fristen einhalten.
Wem gegenüber soll aber der Vermieter
seine Willenserklärungen äussern? Gemäss
dem Vertrauensprinzip sollte es möglich
sein, dass der Vermieter eine Zahlungsaufforderung
und eine Kündigung an die ihm
letztbekannte Adresse des (verstorbenen)
Mieters zustellen darf.
Spätestens aber bei der Beendigung des
Mietverhältnisses muss der Vermieter eine
Ausweisung verlangen. Diese kann er aber
nicht durchsetzen, da ihm die auszuweisende
Partei unbekannt ist. Hier hilft nur
noch der behördlich eingesetzte Erbschaftsverwalter,
der in analoger Anwendung
von Art. 596 Abs. 1 ZGB zur Prozessführung
für den Nachlass aktiv- und
passivlegitimiert ist. Man könnte sich aber
auch auf den Standpunkt stellen, dass auch
der Vermieter die Möglichkeit haben sollte,
nach den Regeln der Geschäftsführung
ohne Auftrag die Rückgabe und Räumung
der Mietsache vornehmen zu können. Voraussetzung
wäre aber, dass der Vermieter
mit Fremdgeschäftsführungswillen tätig
wird. Ob dies vor Gericht standhält, ist
fraglich, da der Vermieter an der Räumung
des Mietobjektes auch eigene Interessen
hat. Praktisch ergibt sich zudem ein Problem
mit der Aufbewahrung des Mobiliars des verstorbenen Mieters.
Ausserdem hat der Vermieter auch die
Möglichkeit, bei einer bestehenden Ungewissheit
über die Erben oder deren Bonität
gemäss Art. 594 ZGB bis zu drei Monaten
nach dem Tod des Erblassers die amtliche
Liquidation der Erbschaft zu verlangen.
Voraussetzung dafür ist, dass der Vermieter
zuerst an alle ihm bekannten Erben ein
Begehren auf Befriedigung oder Sicherstellung
seiner Forderung richtet und ihnen
eine angemessene Frist zur Leistung setzt.
Im Schreiben sollte auch die Liquidation der
Erbschaft durch das Konkursamt angedroht
werden. Das Mietverhältnis geht dann im
Rahmen der Liquidation unter und die
Konkurs- bzw. Erbmasse ist zur Rückgabe
der Mietsache verpflichtet. Konkursamtlich
liquidiert wird auch, wenn sich erweist,
dass die Erbschaft überschuldet ist (Art.
597 ZGB, Art. 193 Abs. 1 Ziff. 2 SchKG)
oder wenn die Erben die Erbschaft ausschlagen
(Art. 573 Abs. 1 ZGB). Sämtliche
Mietzins- und Schadenersatzforderungen –
sowohl diejenigen, die vor wie auch nach
der Konkurseröffnung entstanden sind –
werden zu Konkursforderungen. Die vom
Mieter allfällig geleistete Kaution fällt in
die Konkursmasse, wobei der Vermieter
als Pfandgläubiger vorab aus ihr zu befriedigen
ist. Reicht die Erbschaft nicht aus,
um sämtliche Schulden zu begleichen, so
werden Verlustscheine nur auf Verlangen
und auf Kosten des Gläubigers ausgegeben.
Der Grund dafür ist, dass nach
Abschluss eines Konkurses keine Haftung
mehr besteht, da die Erben bei einer Ausschlagung
nicht mit ihrem persönlichen
Vermögen haften, ausser sie hätten in den
letzten fünf Jahren vor dem Tode des
Erblassers ausgleichspflichtige Vorempfänge
erhalten. |
|
|