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HEV 8/2006 Inhaltsverzeichnis
Recht allgemein

     
  Formvorschriften im Obligationenrecht
* Alessandra Perrella
 
     
  Formvorschriften werden durch das Gesetz vorgesehen, um die Parteien vor einem übereilten Vertragsabschluss zu schützen. Da Art. 11 Abs. 2 OR vorsieht, dass bei einer gesetzlich vorgeschriebenen Formvorschrift die Vermutung gilt, dass die Gültigkeit eines Vertrages von deren Beachtung abhängt, ist es von Bedeutung zu wissen, für welche Verträge welche Formvorschriften gelten. Da die gesetzlichen Formvorschriften nicht nur für Verträge, sondern für sämtliche Rechtsgeschäfte gelten, erlangen sie im Rechtsverkehr eine besondere Bedeutung. Im Folgenden werden anhand von Beispielen die verschiedenen gesetzlichen Formvorschriften erläutert.  
     
  Die Regel von Art. 11 OR:
Das Obligationenrecht sieht grundsätzlich die Formfreiheit vor. Dies bedeutet, dass Verträge nur dann einer bestimmten Form bedürfen, wenn das Gesetz eine solche vorschreibt (Art. 11 Abs. 1 OR). Art. 11 Abs. 2 OR stellt zudem die gesetzliche Vermutung auf, dass es sich bei der vorgeschriebenen Formvorschrift um eine Gültigkeitsvoraussetzung handelt. Wird also die Formvorschrift nicht eingehalten, ist der Vertrag nichtig und entfaltet keine Rechtswirkungen.
Beispiel: Der Kaufvertrag über ein Grundstück muss gemäss Art. 216 Abs. 1 OR öffentlich beurkundet werden. Da es sich um eine Gültigkeitsvorschrift handelt, ist der Vertrag grundsätzlich nicht zustande gekommen, wenn die öffentliche Beurkundung fehlt.
 
     
  Die von den Parteien vorbehaltene Formvorschrift (Art. 16 OR):
Auch wenn das Gesetz keine besondere Formvorschrift für einen Vertrag vorsieht, so können die Parteien trotzdem vereinbaren, dass eine solche einzuhalten sei. Auch Art. 16 Abs. 1 OR stellt die Vermutung auf, dass die Formvorschrift nicht nur zu Beweiszwecken, sondern als Gültigkeitsvoraussetzung vereinbart wurde. Jedoch können vertraglich vorbehaltene Formvorschriften wieder aufgehoben oder abgeändert werden. Dies ist auch stillschweigend möglich, zum Beispiel wenn die Parteien sich über die Formvorschrift hinwegsetzen oder den Vertrag vorbehaltlos erfüllen.
Beispiel: Ein Mietvertrag kann formlos und somit mündlich zustande kommen. Der Mietvertrag vom Hauseigentümerverband Zürich sieht jedoch vor, dass «der Vertrag erst Gültigkeit hat, wenn beide Vertragsparteien unterzeichnet haben». Es wurde also eine Formvorschrift vertraglich vereinbart und der Vertrag kommt wie bei einer gesetzlichen Formvorschrift nicht zustande, wenn die Schriftlichkeit nicht eingehalten wird. Beachten die Parteien diese vertragliche Formvorschrift nicht, indem sie den Vertrag nicht unterschreiben, der Vermieter aber dem Mieter das Mietobjekt übergibt und der Mieter die Mietzinse bezahlt, so ist der Vertrag wegen vorbehaltloser Erfüllung trotzdem zustande gekommen.
 
     
  Die verschiedenen Formvorschriften:
Es können drei Hauptarten von Formvorschriften unterschieden werden: die einfache Schriftlichkeit, die qualifizierte Schriftlichkeit und die öffentliche Beurkundung:
Die einfache Schriftlichkeit ist die schwächste der Formvorschriften. Sie bedeutet, dass der Vertragsinhalt in einer Urkunde festgehalten werden muss und die Parteien diese unterschreiben müssen. Art. 13 Abs. 1 OR setzt dabei fest, dass nur die zu verpflichtende Partei unterschreiben muss. Anstelle der Partei kann auch ein Vertreter den Vertrag unterschreiben. Mit der Unterschrift ist der Namenszug gemeint, blosse Initialen genügen nicht. Verlangt wird grundsätzlich die eigenhändige Unterschrift. Eine Ausnahme wird jedoch gemacht, dort wo die mechanisch reproduzierte Unterschrift im Verkehr üblich ist (Art. 14 Abs. 1 OR).
Beispiel: Gemäss Art. 243 Abs. 1 OR muss ein Schenkungsversprechen schriftlich abgeschlossen werden. Da sich ja nur der Schenker verpflichtet, ist nur seine Unterschrift notwendig.
Bei der qualifizierten Schriftlichkeit handelt es sich um eine besondere Form der Schriftlichkeit. Neben den Voraussetzungen der einfachen Schriftlichkeit müssen noch weitere Angaben in der Urkunde zwingend enthalten sein oder ein besonders genehmigtes Formular benutzt werden.
Beispiel: Bei der Bürgschaft gemäss Art. 493 Abs. 1 OR muss in der schriftlichen Erklärung der zahlenmässige Höchstbetrag der Haftung des Bürgen enthalten sein. Ohne diese Angabe ist der Bürgschaftsvertrag nicht gültig zustande gekommen. Ein Beispiel für ein speziell genehmigtes Formular ist dasjenige, welches der Vermieter bei der Kündigung eines Wohn- oder Geschäftsraumes benötigt (Art. 266l OR). Kündigt der Vermieter ohne amtliches Formular, ist die Kündigung nichtig und entfaltet keine Rechtswirkungen. Das Bundesgericht hat in diesem Zusammenhang denn auch entschieden, dass das Versenden einer Kopie eines unterschriebenen Formulars nicht ausreicht, da es an der Eigenhändigkeit der Unterschrift fehlt. Die öffentliche Beurkundung stellt die strengste gesetzliche Formvorschrift dar. Eine vom Staat mit dieser Aufgabe betrauten Person (Urkundsperson, Notar) hält das Rechtsgeschäft in einer vom Staat geforderten Form fest. Wie die öffentliche Beurkundung und dessen Verfahren im Einzelnen ausgestaltet werden, regelt das kantonale Recht. Das Bundesrecht schreibt hingegen Mindestanforderungen vor, wie beispielsweise dass die Urkundsperson die Äusserungen der Parteien wahrheitsgetreu und vollständig festhalten muss.
Beispiel: Der Kaufvertrag über ein Grundstück muss gemäss Art. 216 Abs. 1 OR öffentlich beurkundet werden. Dasselbe gilt für einen Vorvertrag, der ein Kaufvertrag über ein Gründstück zum Inhalt hat (Art. 22 Abs. 2 OR).
 
     
  * lic. iur., HEV Zürich  
 
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