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Der Tod lauert im Garten
* Barbara Scalabrin-Laube |
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Können Sie sich an den leichten Schauer erinnern, den Sie empfanden,
wenn Sie als Kind im Wald eine blaue Einbeere (Paris quadrifolia)
berührten, eine rote Eibenbeere (Taxus baccata) in den Mund nahmen,
um sie gleich wieder auszuspucken, ängstlich den Finger in die Blüte
eines Fingerhuts (Digitalis purpurea) steckten oder mutig eine Beere
des roten Holunders (Sambucus racemosa) verschluckten? Erinnern Sie
sich, wie Sie dann abends im Bett lagen und staunten, dass Ihnen
nichts passiert war, Sie sogar ohne Beschwerden weiterlebten? |
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Mutproben dieser Art mochte ich als
Kind gern, war ich doch nicht fähig, mit
einem Kopfstand auf dem Mittelstreifen der
Strasse zu glänzen wie mein Freund Päuli.
Dieser wiederum hatte grosse Angst vor
giftigen Pflanzen und hätte niemals freiwillig
eine Eibenbeere geschluckt. |
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Mutproben dieser Art mochte ich als
Kind gern, war ich doch nicht fähig, mit
einem Kopfstand auf dem Mittelstreifen der
Strasse zu glänzen wie mein Freund Päuli.
Dieser wiederum hatte grosse Angst vor
giftigen Pflanzen und hätte niemals freiwillig
eine Eibenbeere geschluckt.
Heute dürfen Kinder kaum mehr unbeaufsichtigt
im Wald spielen oder die Strasse
als Turnplatz nutzen. Giftige Pflanzen aber
gibt es immer noch. So schmücken Sie
vielleicht Ihren weihnachtlichen Tisch mit
einer Christrose (Helleborus niger) und hängen
über dem Eingang einen Mistelzweig
(Viscum album) auf. Wussten Sie, dass die
schleimigen, süsslichen und bei den Vögeln
beliebten Früchte der Mistel ebenso wie die
Blätter Viscotoxin enthalten, einen Stoff,
der zu Brechdurchfall und Darmkrämpfen
führen kann? Die Christrosen hingegen
enthalten in allen Pflanzenteilen Helleborein
und Hellebrin, zwei Glyksoide, welche
unangenehme Vergiftungserscheinungen
wie Kolliken, Atemnot und Herzschwäche
hervorrufen können. |
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Lupine |
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Es stellt sich nun die Frage, ob der Verkauf
der Christrosen verboten und die
Mistelzweige auf den Apfelbäumen vernichtet
werden sollten. – Eine solch radikale
Lösung kann wohl kaum richtig sein, hat
doch bereits der grosse Arzt und Naturforscher
Paracelsus (1494–1541) geschrieben: «Alle Dinge sind Gift, und nichts ist ohne
Gift; allein die Dosis macht, dass ein Ding
kein Gift ist.»
Betrachten wir beispielsweise die Eibe
(Taxus baccata): Das immergrüne Gehölz
enthält in allen Teilen – ausser im süsslichen
Fruchtfleisch (der darin enthaltene Samen
ist ebenfalls giftig!) – äusserst giftiges Taxin
und andere Stoffe. Wer Samen, Nadeln
oder gar Zweige kaut, wird schon bald darauf
Bauchweh haben und oberflächlich
atmen. Erweiterte Pupillen, unregelmässiger
Puls und Kreislaufschwäche sind weitere
Anzeichen für eine Vergiftung. Ohne
ärztliche Hilfe ist der Betroffene gefährdet,
könnte er doch an einer Atemlähmung sterben.
Ich nehme nicht an, dass Sie oder Ihre
Kinder Eibennadeln essen, und habe auch
keine Angst, wenn Kinder in unserem Garten
hinter der Eibenhecke Verstecken spielen.
Allerdings haben wir bewusst keine
Eibenhecke der Strasse entlang gepflanzt,
weil wir wissen, dass Pferde die Nadeln
gern abfressen und sich vergiften könnten.
Gift kann in der richtigen Dosierung ein
Heilmittel sein. Dies lässt sich an unserem
Beispiel ebenfalls zeigen: Taxin wird nämlich
heute in der Pharmaindustrie gewonnen,
da man herausgefunden hat, dass der
Stoff in der richtigen Dosierung in der
Krebstherapie sehr wirksam ist. In England
werden die Gärtnerinnen und Gärtner sogar
aufgefordert, das Schnittgut der Eiben zu
sammeln und abzugeben.
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Seidelbast |
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Euphorbia |
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Solanum |
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Was aber sollen wir denn gegen den im
Garten lauernden Tod tun? Sollen wir auf
die Blüten des schönen blauen Eisenhutes
(Aconitum napellus) verzichten, weil er als
die giftigste Pflanze Europas gilt? Alle Pflanzenteile
enthalten Aconitin, ein Gift, das
beim Pflücken sogar durch die Haut eindringen
kann (-> Hautentzündungen) und
oral eingenommen schwere Vergiftungen bewirkt. Sollen wir keine Lupinen (Lupinus
polyphyllus) mehr anpflanzen, weil ihre
Samenstände giftig sind? Auch der Goldregen
(Laburnum anagyroides) ist eine
gefährliche Pflanze, da nicht nur die Samen,
sondern auch die Blüten und Früchte
Cytisin enthalten.
Die Liste kann beliebig verlängert werden.
Sie erinnern sich bestimmt an die
Vergiftungsfälle nach dem Essen von ungekochten
Bohnen (Phaseolus vulgaris) oder
von Maiglöckchenblättern (Convallaria
majalis), die mit Bärlauch (Allium ursinum)
verwechselt wurden.
Warum sollen unsere Kinder nicht – so
wie wir es waren – fähig sein, giftige Pflanzen
von anderen zu unterscheiden? |
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Wollen
wir ihnen den Schauer beim Anblick der schwarzen Beeren der Tollkirschen (Atropa
belladonna) nicht gönnen? Bereits vier Beeren
können bei Kindern tödlich wirken.
Wir
können es wohl kaum verhindern, dass sie
auf einem Spaziergang dieses Nachtschattengewächs
antreffen. Umso wichtiger ist
es, dass Kinder und Erwachsene um die
Gefahren von Giftpflanzen wissen, dass sie
nicht jede rote Beere in den Mund stecken,
sondern die roten Früchte des Aronstabes
(Arum maculatum), der rotbeerigen Zaunrübe
(Bryonia dioica), des bittersüssen
Nachtschattens (Solanum dulcamara), der
gemeinen Heckenkirsche (Lonicera xylosteum),
verschiedener Schneebälle (Viburnum),
des Seidelbasts (Daphne mezzereum),
der Stechpalme (Ilex aquifolium) und
der Eberesche (Sorbus aucuparia) kennen
und nicht essen.
Oder wussten Sie z.B., dass die gelbe
Osterglocke (Narzissus pseudonarzissus)
nicht völlig harmlos ist? So sollen sich schon
Menschen vergiftet haben, die Speisezwiebeln mit den Zwiebeln der Osterglocken
verwechselten. Gestorben sind sie nicht,
aber Durchfall, Bauchweh und Schweissausbrüche
sind gleichermassen unangenehm.
Auch der im Frühjahr blühende
Besenginster enthält Giftstoffe, die Herzbeschwerden
hervorrufen können. Zudem
sind alle Wolfsmilcharten (Euphorbia) nicht
ungefährlich, da ihr milchiger Saft auf der
Haut irritierend wirken kann. Die weissen
Beeren der Schneebeere (Symphoricarpus
albus), die so schön knallen, wenn man auf
sie tritt, enthalten Saponin, einen stark reizenden
Wirkstoff, der in vielen anderen
Pflanzen ebenfalls enthalten ist, beispielsweise
in den Stängeln, Blättern und Beeren
des Efeus (Hedera helix). |
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Eberesche |
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Gold-
regen |
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Mai-
glöckchen |
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Christrose |
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Es würde den Rahmen dieses Artikels
sprengen, müsste ich alle Pflanzen mit giftigen
Wirkstoffen aufzählen. Selbstverständlich
bin ich nicht dafür, dass in der Umgebung
von Kinderspielplätzen oder Kindergärten
giftige Pflanzen wachsen, aber ich
erachte es als sinnvoll, wenn Eltern oder
Grosseltern den Kindern einen achtsamen
Umgang mit Pflanzen vorleben. Auf diese
Weise kann der Gifttod im Garten gebannt
werden.
Wenn Sie nun entgegnen, dass Sie nicht
alle diese Pflanzen kennen, kann ich das gut
verstehen. Ich bedaure deshalb, dass diese
in Katalogen und Gärtnereien nicht speziell
bezeichnet werden. Am meisten helfen
wohl das Nachfragen beim Kauf und das
Befolgen der alten Regel: «Was der Bauer
nicht kennt, …»
Eine andere Möglichkeit wäre es, seinen
Garten einzig mit einem unkrautfreien
Rasen zu begrünen. Fragt sich bloss, ob die
Kinder dann vor lauter Langeweile nicht auf
die Idee kämen, aus den nächsten Ferien
eine Kreuzotter für ihr Terrarium zu fangen
oder Skorpione zu sammeln! |
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* Cottage Garten, 8453 Alten |
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