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Epidemiologie
* Gernot Grueber |
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… nennt sich die Lehre von den epidemischen
Krankheiten. Das sind jene Krankheiten,
die sich wegen «günstiger Umstände»
schnell verbreiten. Auf dieses Thema bin ich
durch die kürzliche Meldung über die Ausbreitung
der Sharka-Krankheit der Zwetschgenbäume
gekommen. Sie machte erstmals
in den 50er-Jahren auf dem Balkan von sich
reden. Denken Sie an den Slibowitz, den
Zwetschgenschnaps aus jener Gegend.
Gewiss gibt es natürliche Pflanzenbestände,
die sich zu Monokulturen entwickeln. Auf
dem Hohen Rohnen z.B. dominieren die Rottannen.
Bei anhaltender Trockenheit im Frühjahr
kann sich dort die Sitka-Laus sehr schnell
vermehren. Sie tritt übrigens auch jahrgangweise
an Blautannen und Serbischen Fichten
in unseren Gärten auf. Heisse, trockene Sommer
können Waldbestände so schwächen,
dass abgestorbene Bäume oder verminderter
Saftfluss eine Borkenkäferepidemie auslösen.
Eine wichtige Voraussetzung für eine epidemische
Ausbreitung ist, dass die befallenen
Subjekte ähnlich empfindlich sind und dicht
beisammen stehen. Je grösser die Populationsdichte
einheiticher Pflanzenbestände,
umso grösser der Befalldruck und die Entwicklungsgeschwindigkeit.
Natürliche Monokulturen und solche, die
«menschengemacht» sind, laden Schadorganismen
geradezu zum Zuschlagen ein. Ein
gefundenes Fressen!
Menschliche Bedürfnisse oder der Druck
des Marktes fördern Monokulturen, z.B.
Weinbau und Tafelbirnenanbau. Schon in
den 50er-Jahren wurden im Kanton Wallis
die Wacholderbäume gerodet bzw. deren
Anpflanzung verboten. Weshalb? Sie konnten
als Zwischenwirtspflanzen für den Gitterrost
den grossen, wirtschaftlich bedeutsamen
«Williams»- und «Gute Luise»-Kulturen
gefährlich werden. Grosse Rebbauflächen
führten zur Verbreitung der Reblaus und des
Rüsselkäfers. Viele grosse Weizenfelder bieten
dem Getreideschwarzrost gute Verbreitungsmöglichkeit.
Der Platanenkrebs ist ein
Geschenk aus den USA. Er landete irgendwann
per Schiff in Genua und ist seither Richtung
Norden auf dem Vormarsch. Die eher
magere Bestandsdichte der Platanen hemmt
oder stoppt das Vorrücken. Vom Ulmensterben
hört man zurzeit nichts. Es scheint
erloschen zu sein, weil Ulmen offenbar nicht
genügend dicht stehen. Epidemiegefahr
besteht immer, wenn die Populationsdichte
hoch ist: Monokulturen, geringe Distanzen
von Individuum zu Individuum. Beim Platanenkrebs
und beim Ulmensterben können
sich die Infektionen auch über das sich
berührende Wurzelgeflecht weiterverbreiten.
Eine Allee begünstigt diese unterirdische Verbreitung.
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Dass man vielerorts wegen des Feuerbrandes
die Cotoneaster entfernen musste, hängt
damit zusammen, dass das wirtschaftliche
Interesse der Obstbauern auf dem Spiel
stand. Auch hier wieder: die Massierung von
Pflanzen, die befallen werden können. Beim
Feuerbrand kommt hinzu, dass die Pflanzen
beim Sammelflug von Insekten über die Blüte
angesteckt werden können. Je grösser die
Bestandsdichte der Wirtspflanzen ist, umso
höher wird der Ansteckungsdruck. Kommt zu
jener Zeit, wo die Krankheit in ihrer Entwicklungsrhythmik ohnehin in den Startlöchern
trippelt, noch ein Hagelschlag hinzu, der
unzählige Verwundungen verursacht, verläuft
eine Epidemie explosiv. Jede Wunde ist eine
Eintrittspforte. |
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Feuerbrand, Blüteninfektion
(Foto: Dienststelle Landschaft und Wald [Lawa]
des Kantons Luzern, www.lawa.lu.ch)
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Der Birnengitterrost wurde
hier in der deutschen Schweiz zu einem Problem,
als nicht nur in allen Gärten, sondern
auch an fast allen neuen Häusern auf Balkonen
und Terrassen Wacholder gepflanzt wurden.
Besonders Sadebaum- und Tamariskenwacholder
erwiesen sich als anfällig. Durch
die übernormale Verwendungsdichte konnte
sich der Gitterrost der Birnbäume so stark
ausbreiten.
Normalerweise sind Waldbäume wie
Buchen, Eichen oder Rottannen ein Erbgutgemisch.
(Sie sind heterogen.) Sie haben wohl
innerhalb einer Art gleiche Eigenschaften,
sind auch untereinander fruchtbar und doch
unterscheiden sie sich in Nuancen voneinander.
So ist in der Regel auch die Widerstandsfähigkeit
von Pflanze zu Pflanze etwas unterschiedlich.
Das wirkt epidemiehemmend. Im
Engadin liess sich der Lärchenwickler trotz der
genetisch uneinheitlichen Bestände nicht an
der epidemischen Entwicklung hindern.
Offenbar gibt es keine genügenden Hemmschwellen
in der Lärchenpopulation. Erinnern
Sie sich? Damals wurde DDT per Heli verstäubt.
Eine gewisse Zeit lang wurden in Forstversuchsanstalten
und in Forstbaumschulen
besonders ertragreiche Bäume ausgewählt,
um davon einheitliche Klone nachzuziehen.
Die Nachzuchten waren dann so vereinheitlicht,
dass sie die von der Wirtschaft gewünschten
guten Eigenschaften mitbrachten.
Wenn sich dann ein Pilz oder ein Schädling
auf dieses Futter spezialisiert hatte, war die
epidemische Wirkung so durchschlagend,
dass das vegetative Vermehren (Klonen) von
Forstpflanzen eingestellt wurde, als man
erkannte, dass Lebewesen, die völlig identische
Erbsätze (Chromosomensätze) haben,
auf epidemische Attacken nicht sinnvoll reagieren.
Umgekehrt könnte man auch sagen:
Epidemien können auf genetisch gleichförmige
Populationen nicht selektiv wirken, indem
sie anfälligere Pflanzen befallen und umbringen,
während die robusteren am Leben bleiben
und die Art erhalten.
Die Natur hat ihren Regelmechanismus:
Eine Epidemie vermindert die Populationsdichte,
verringert damit den Ansteckungsdruck
und erlischt demzufolge früher oder
später.
Pflanzenepidemien werden durch
menschliches Wirken begünstigt: die vielen
Maisfelder – der Maiszünzler – der genmanipulierte
Mais – die politische Sensibilisierung:
eine Folgenkette. Auf diese Art wird immer
für Zeilenfüller gesorgt sein und es wird
immer wieder Stoff geben, mit dem man sich
politisch profilieren kann. |
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