|
|
|
| |
|
|
| |
Warum ich beim Gärtnern meistens
einen Vogel habe
* Barbara Scalabrin-Laube |
|
| |
|
|
| |
Ja, Sie haben richtig gelesen, ich habe beim Gärtnern
wirklich einen Vogel. Wenn Sie nun aber denken, dies hätten
Sie schon längst bemerkt, haben Sie vermutlich Recht,
verstehen mich aber falsch. Mein Vogel ist ein echter Freund
und hat auch einen Namen: Robin. |
|
| |
|
|
| |
Wenn ich nämlich im Herbst oder Winter
im Garten arbeite, Laub reche, Stauden
zurückschneide, Boden lockere und mich
über Sämlinge freue, die ich beim Jäten
finde, bin ich selten ohne Robin. Mein
Mann freut sich über diese Freundschaft,
denn mein Freund wiegt bloss ca. 17 bis
20 g und ist gefiedert, ein Rotkehlchen, das
im Englischen den schönen Namen Robin
trägt (und oft als Sujet für englische Weihnachtskarten
benützt wird).
Wer sich mit dem Kindchenschema von
Lorenz befasst hat, weiss, dass der kleine
Vogel mit dem runden Köpfchen und den
grossen Augen auf den Menschen genauso
anziehend wirkt wie ein Jungtier einer
höheren Tierart. Die typisch kindlichen Proportionen
werden bekanntlich als Schlüsselreiz
gedeutet, der das für die Aufzucht
wichtige Fürsorgeverhalten hervorruft. |
|
| |
|
|
«Mein» Robin ist leicht von anderen
Vögeln zu unterscheiden: Er ist wie ein
Spatz etwa 14 cm gross, an Stirne, Kehle
und Brust auffallend orange gefärbt und
hat einen weisslichen Bauch. Sein Rücken
ist olivbraun. Männchen und Weibchen
kann man aufgrund des Äusseren nicht
unterscheiden. Der Ruf ist ein eher scharfes
Schnickern, das in menschlichen Ohren wie
«zick-zick-zick-…» tönt und bei Gefahr
immer schneller wird. Der Gesang hingegen
erscheint uns eher melancholisch und
schwermütig. Er wird in der Literatur auch
als herabperlendes Trillern beschrieben. Männchen und Weibchen singen oft zu
jeder Tageszeit (sogar bis weit in die Dämmerung
hinein), |
|
| |
 |
|
|
| |
|
|
|
| |
vor allem aber von März
bis Mai. Wenn mein Robin mit mir
«spricht», äussert er sich mit einem kurzen,
leisen Zick-zick-zick-Ruf, seinem Bettelruf.
Mit dem gleichen Ruf bittet das Weibchen
während des Nestbaus das Männchen um
Futter.
Sie werden sich mit Recht fragen, weshalb
ausgerechnet ein Rotkehlchen mein
Freund ist (es könnte auch eine Freundin
sein, siehe oben!), hat es doch in unserem
Garten viele andere interessante Vögel,
aber kein einziger ist so zutraulich wie
Robin. Kein anderer Vogel «spricht» mit mir
und freut sich sichtlich (eine wohl allzu
menschliche Interpretation), wenn ich im
Garten arbeite.
Wenn man einen Freund hat, möchte
man selbstverständlich mehr über ihn wissen.
Ich habe mich deshalb mit dem Erithacus
rubecula befasst und fasse hier zusammen,
was ich erfahren habe, denn ich vermute, dass viele Gartenfreundinnen und
-freunde ebenfalls einen Vogel haben.
Die Rotkehlchen, eine momentan nicht
gefährdete Vogelgattung (Familie der Drosseln
oder Turdidae), gelten als Teilzieher.
Während die meisten Rotkehlchen im
Herbst in die westlichen Mittelmeerländer
ziehen, bleiben etwa 10% hier und überwintern.
Die meisten Vögel dieser Gattung,
die wir im winterlichen Garten treffen,
kommen allerdings aus dem Norden, um
bei uns zu überwintern. Sie leben als Einzelgänger
oder Einzelgängerin in – je nach
Futterangebot – kleineren oder grösseren
Revieren im Untergehölz der Wälder oder
in grösseren Gärten und Parkanlagen mit
viel Dickicht. Da Weibchen und Männchen
– ausser in der Brut- und Nestlingszeit –
allein leben, verteidigen sie ihre Territorien
vehement. Eindringlinge werden zuerst mit
Gesang über die Grenzziehung orientiert.
Wenn sie dennoch ins feindliche Revier einzudringen
versuchen, wirft sich der Besitzer
(oder die Besitzerin) drohend in die aufgeplusterte
orange Brust und scheut vor
einem Kampf nicht zurück. Opfer solch
tödlich endender Kämpfe habe ich schon
einige Male in unserem Garten gefunden.
Dies scheint vom menschlichen Standpunkt
aus ein eher unschöner Charakterzug der
niedlichen Vögel zu sein. Allerdings ist ein
eigenes Revier für die kleinen Vögel überlebenswichtig,
denn da sie sich hauptsächlich
von Insekten, einer energiearmen Kost,
ernähren, brauchen sie ihr Territorium dringend
für sich allein. Neben Insekten fressen
sie Würmer und Larven. Im Herbst picken
sie zudem Beeren und Samen. Es gibt
zudem Berichte über Rotkehlchen, die wie
Eisvögel sturztauchen und erfolgreich
fischen. |
|
| |
Die Mein Robin hat es bequemer. Während
ich im Garten arbeite und den Boden lockere,
hüpft er in nächster Nähe herum und
nimmt sich, was an die Oberfläche kommt.
Seine Unerschrockenheit ist einmalig, wagt
er es doch bis auf einen halben Meter in
meine Nähe zu kommen und nach Nahrung
Ausschau zu halten. Zoologen nehmen an,
dass der kleine Vogel nicht vom Homo sapiens
fasziniert ist, sondern dass er instinktiv
grossen Tieren folgt, die einigen Staub
aufwirbeln und auf diese komfortable
Weise Insekten als Nahrung anbieten. |
|
|
|
| |
|
 |
|
| |
|
|
|
| |
Es wird sogar vermutet, dass die Jungtiere von
ihren Eltern bewusst an grössere Tiere (auch
Menschen!) herangeführt werden, um die
bequeme Art der Nahrungssuche kennen
zu lernen.
Genauso wie der kleine Vogel vom Menschen
profitiert, hat dieser vom gefiederten
Freund Nutzen. So sollen sich im 19. Jahrhundert
in den Dörfern viele Handwerker,
Taglöhner und Bauern ein Rotkehlchen als
Stubenvogel gehalten haben. Die zahmen
Vögel lebten frei in den Stuben und hatten
die Aufgabe, die lästigen Fliegen zu fressen.
Freilich sollen sie sehr schnell gemerkt
haben, dass es bequemer ist, sich vom Teller
des menschlichen Meisters zu bedienen als
im Flug Insekten zu fangen!
Was aber kann man tun, um den hübschen
Vögeln ein artgerechtes Habitat anzubieten?
Als Waldbewohner suchen sie ihre
Nahrung wie erwähnt hauptsächlich am
Boden, wo das Weibchen normalerweise
auch die gleichmässig runde Nestmulde –
versteckt hinter Grasbüscheln oder Wurzeln
– im Dickicht baut. Es gibt aber auch
Beschreibungen von ausgefallenen Standorten,
wie z.B. Briefkästen und Gartenschuhen.
Wer also seinen Garten nicht allzu sauber
aufräumt und Unterholz zulässt, hat
Chancen, einem Rotkehlchenpaar einen
Unterschlupf anzubieten. Es wird jedoch
kaum möglich sein, die Jungen, die gut
getarnt, nämlich gesprenkelt sind, zu beobachten.
Erwachsene Vögel aber trifft man
häufig, besonders wenn man ihnen neben
einem artgerechten Unterschlupf das richtige
Futter anbietet. Beerensträucher wie beispielsweise
Holunder, Schneeball und Pfaffenhütchen
sind Futterlieferanten im Herbst
und unter liegen gelassenem Laub finden sie
Insektenlarven. Da Rotkehlchen täglich
baden, mögen sie die Nähe von Wasser.
«Unser» Robin (es ist selbstverständlich
nicht Jahr für Jahr der oder die gleiche)
bedient sich im Winter am Vogelbrett und
frisst dort Sonnenblumenkerne. Er mag aber
auch Haferflocken und getrocknete Beeren.
Wer sich zudem die Mühe macht und Mehlwürmer
kauft, kann den kleinen Freund mit
der Delikatesse handzahm machen.
Ich bin mir bewusst, dass die Zweckmässigkeit
der Winterfütterung von Vögeln
umstritten ist. Wenn ich jedoch Robin
beim Arbeiten im Garten so wacker fressen
sehe und er mich sogar mit seinem Bettelruf
anfleht, kann ich es nicht lassen, ihm in
der kältesten Jahreszeit einige Leckerbissen
zu offerieren, denn seine Zutraulichkeit und
Freundschaft (wieder so eine Vermenschlichung!)
bedeuten mir viel.
1997 hat die Schweizerische Vogelwarte
Sempach eine Broschüre «Familie Rotkehlchen
– Vögel in der Brutzeit» herausgegeben,
die viel Information über den zutraulichen
Gartenfreund bietet. Auch im 2004
erschienenen Buch «Vögel – unsere Nachbarn» wird der Erithacus rubecula neben
anderen einheimischen Vögeln beschrieben.
(Schweizerische Vogelwarte Sempach,
2004, ISBN: 3-9521064-3-7) |
|
| |
|
|
| |
* Cottage Garten, 8453 Alten |
|
 |
|
 |
|