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Wer ein aussichtsloses Rechtsmittel ergreift und sich dessen Rückzug
entschädigen lässt, nutzt regelmässig den drohenden Verzögerungsschaden
des Bauherrn für verfahrensfremde Zwecke aus, was sittenwidrig ist. |
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Als Ausgangspunkt ist festzuhalten, dass
der Bürger für sein vermeintliches Recht
Rechtsmittel und Rechtsbehelfe ergreifen
kann und dass das auch dann nicht rechtswidrig
ist, wenn er mit diesen Schritten unterliegt.
Das Verhalten einer Partei im Prozess ist nur
dann sitten- und daher rechtswidrig, wer die
Verfahrensrechte missbräuchlich, böswillig
oder wider Treu und Glauben in Anspruch
nimmt. Das Zahlungsversprechen für einen
Verzicht auf eine rechtliche Befugnis gilt dann
als sittenwidrig, wenn es auf einer Kommerzialisierung
der Rechtsposition der verzichtenden
Partei beruht. Konkret bezogen auf
Rechtsmittel in Bausachen hat das Bundesgericht
in BGE 123 III 101 ff. erwogen, dass das
Verzögern von Bauvorhaben durch administrative
oder gerichtliche Verfahren zu beträchtlichem
volkswirtschaftlich unerwünschtem
Schaden führen kann. Wird der Umstand,
dass ein solcher Verzögerungsschaden
droht, vom Prozessgegner zur Erlangung verfahrensfremder
Zwecke ausgenutzt, ist das
sittenwidrig. Dabei ist nicht jeder entgeltliche
Verzicht verpönt; das ist erst dann der Fall,
wenn mit der Vereinbarung (Zahlung gegen
Rechtsmittelverzicht) allein der drohende Verzögerungsschaden
des Bauherrn verhindert
und nicht eine mit dem Bauvorhaben verbundene
Beeinträchtigung des Nachbargrundstückes
ausgeglichen werden soll.
Eines bedarf dabei allerdings der Präzisierung:
Ein Bauvorhaben wird in einer Vielzahl
von Fällen geeignet sein, dem Nachbarn einen
Schaden zuzufügen. Ein bisheriges Gebäude
wird erweitert oder aufgestockt oder seine
Nutzung intensiviert; dies kann mit steigenden
Immissionen oder etwa mit der Beeinträchtigung
der Aussicht verbunden sein.
Zu diesem Punkt hält das Bundesgericht
im vorerwähnten Entscheid sinngemäss fest,
dass das Ergreifen eines Rechtsbehelfes dann
missbräuchlich ist, wenn der einspracheberechtigte
Nachbar keine Einwände gegen das
Bauvorhaben vorgebracht hat oder vorbringen
kann, deren Gutheissung negative Auswirkungen
auf sein Grundstück verhindert
hätte. Der Vorbehalt, dass sich der Nachbar
die Zahlung für einen drohenden Schaden
gültig versprechen lassen darf, ist also eingeschränkt
auf den Fall, wo er mit dem Erfolg
seines Rechtsbehelfes diesen Schaden vermeiden
könnte. Wo etwa die Aufstockung eines
Gebäudes baurechtlich in guten Treuen beanstandet
werden kann, darf der Nachbar
sich gegen den Verzicht auf ein Rechtsmittel
eine Zahlung zum Ausgleich der Wertminderung
seines Grundstückes gültig versprechen
lassen. Lässt sich jedoch jemand vom Bauwilligen
den Ausgleich eines Nachteiles versprechen,
obwohl er nach Treu und Glauben
nicht damit rechnen kann, das Projekt mit
baurechtlichen Mitteln zu verhindern, bleibt
sein Verhalten zweck- und rechtswidrig. Letzteres
hat zur Folge, dass das Entgelt nicht
geschuldet ist. |
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