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Pflanzen auf Wohnortsuche
* Gernot Grueber |
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Mit Rucksack und Wanderstab? |
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Hebe ochracea, «James Stirling», neuseeländische Strauchveronika. |
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Stellen Sie sich vor, da ist eine ganze Gruppe
von Pflanzen unterwegs mit Rucksack und
Wanderstab, oder sie ist so modern, dass sie
mit Walking-Tenue und -Stecken auf die
Reise geht. Was an diesem Bild nicht stimmt,
ist vor allem das Zeitmass. Pflanzen wandern
auch, nur brauchen sie viel mehr Zeit, bis sie
ihre neue Bleibe gefunden haben. Was auch
nicht stimmt, ist, dass das «Individuum Pflanze
» nur in wenigen Ausnahmefällen wandert:
Nämlich jene Pflanzen, die sich mit Rhizomen
oder Ausläufern auf die Reise machen.
Beispiele sind Zaunwinden, Maiglöckchen,
Buschwindröschen, Himbeeren, viele Gräser
und Bambusse und Ausläufererdbeeren.
Was bestimmend ist für die «Endgültigkeit
» ihrer Wohnsitznahme, ist der Anpassungsgrad
an die standörtlichen Gegebenheiten.
Je höher der Anpassungsgrad ist, je konkurrenzstärker
folglich eine Pflanze am Ort
ihrer Wohnsitznahme ist, umso eher wird sie
die «Mitbewerber» um den gleichen Quadratmeter verdrängen können. Mit dem
Ergebnis dieser «Völkerwanderung» befasst
sich die Pflanzengesellschaftslehre, die Pflanzensoziologie.
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Halt, da ist noch was: Die «standörtlichen
Gegebenheiten». Was ist damit gemeint?
Hierher gehören die Sonnenscheindauer, die
Luftbewegung, die Niederschläge in ihrer
Menge und Verteilung im Jahresablauf, die
Exposition Nord, Ost, Süd, West, die Höhe
über dem Meer, die Bodenqualität. Es sind
hunderte von Kombinationen dieser Faktoren
möglich, die eine Art von Faktoren-Mix darstellen.
Auf einem rohen Boden finden zunächst nur anspruchslose Pflanzen Halt
und Heimat. Anspruchsvolle Pflanzen können
dort noch nicht landen. Der Pflanzensoziologe spricht hier von einer Initialgesellschaft
oder Pioniergesellschaft. Typische Pioniergesellschaften
entstehen in einer Flussbeuge,
wo das unterspülte Bachbord abrutscht und
der rohe Untergrund freigelegt wird. Oder
auch in einer Kiesgrube, wo sich zuerst wilde
Weiden, Huflattich oder auch Weidenröschen
ansiedeln. Je länger sich zwischen den Pflanzen
fallende Blätter zu Humus entwickeln,
umso geeigneter wird der Standort für Pflanzen,
die eine bessere Humusversorgung brauchen. Sie werden nach und nach die Pionierpflanzen
verdrängen, entwickeln mehr Grünmasse
und setzen dank Humusbildung eine
langsame Entwicklung in Gang, |
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Seidenbehaarung und Rollblätter,
Convo Loulus Cneorum und Rosmarin |
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Thymus vulgaris, Küchenthymian |
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die immer mehr Arten konkurrenzfähig macht. Damit
wächst auch die Konkurrenz um den gleichen
Quadratmeter, die Pflanzen wachsen stärker
in die Höhe, die Schichtung der Vegetation
wird immer reicher. Es bietet sich zuletzt die
Möglichkeit, eine Kraut-, eine Sträucher- und
eine Baumkronenschicht zu entwickeln.
Der Pflanzensoziologe nennt das Phänomen
der Abfolge von sich ablösenden Pflanzenkleidern
Sukzession und die Gesellschaften
demgemäss Sukzessionsgesellschaften,
Folgegesellschaften. Jene Gesellschaft, die
ein ausbalanciertes Konkurrenzgleichgewicht
unter den Arten und eine weit gehende Anpassung
an die Standortbedingungen darstellt,
nennen wir die Klimaxgesellschaft. Sie
kann über Jahrzehnte nahezu unverändert
gleich bleiben.
Jetzt höre ich Sie fragen: Was soll ich nun
mit diesen wissenschaftlichen Erörterungen?
Gibt es eine Nutzanwendung? Schliesslich
habe ich einen Garten zu Hause, der anderen
Gesetzen gehorchen muss. Muss er das?
Gute Gärtner wissen, dass es so etwas wie
die Pflanzengesellschaftslehre gibt, und wissen
dementsprechend auch, dass es so etwas
wie standortgerechte Pflanzung gibt, dass
nicht jeder Standort für jede Pflanze geeignet ist und, jetzt kommt noch ein weiterer Aspekt
in unsere Diskussionsrunde, nämlich: Pflanzen,
die unter gleichen Standortbedingungen
stehen, haben immer auch gewisse Ähnlichkeiten
in ihrem Erscheinungsbild. |
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Jetzt rücken wir etwas ab von der Gesellschaftszugehörigkeit
und erweitern diese auf
das Erscheinungsbild der Pflanzen. Wir erhalten
dann einen Mix von Pflanzen, die einer
Gesellschaft angehören (z.B. der mediterranen
Flora) und erweitern diese um Pflanzen,
die ihrem Erscheinungsbild entspreche sich
dieser Gruppe mehr oder weniger nahtlos
zugesellen lassen (z.B. die neuseeländischen
immergrünen Strauchveronikas, die Senecio
greyi und Oearia hastii). Ein solcher Mix eignet
sich für Standorte, die heiss und trocken
sind, z.B. eine südorientierte Rabatte am
Haus. Pampasgras ist zwar in seinem Erscheinungsbild
keine anpassungsfreudige Pflanze,
aber vom Standort her ist sie dort auch am
richtigen Platz. In diesem Zusammenhang
möchte ich auch noch den Scheinginster/
Chamaecytius, den Pfrieme und den Elfenbeinginster,
den Färben- und Schwarzginster,
die Bartblume, Caryopteris, die Kamünze/Elsholtzia
und den Keuschstrauch/Vitex erwähnen.
Ausdrücklich zitieren möchte ich auch
alle die aromatisch durftenden Gewürze:
Lavendel, Rosmarin, Thymia, Majoran, Estragon,
Eberraute, Weinraute, alle niederen und
hohen Wermutarten, Indianermelisse und
die Strauchverbene (Verveine). |
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Minimierte Blätter und Seidenbehaarung,
Artemisia pontica |
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Wollaubige
Pflanzen passen ihrem Aussehen und geringen
Feuchtigkeitsbedarf entsprechend gut
dazu. Besonders denke ich an den Wollziest,
Stachys olpica. Auch die vielen Sonnenröschen,
unter denen es einige graulaubige gibt,
passen wundervoll dazu. Selbstverständlich
sind auch alle Fetthennen, die aufrechten und
die teppichartigen, in diesem Zusammenhang
passend. Ein besonders zierendes Bijou ist die
zu den Steinbrechgewächsen gehörende Lewisia cotyledon, die im zeitigen Frühjahr
rosa, lachs, weiss und orange blüht. Nicht zu
vergessen: Auch die Dachwurz mit ihren vielen
Varianten passt in diese Gesellschaft.
Sollte der gewählte Standort zu feucht
und der Boden zu wenig durchlässig sein,
kann der Luftanteil im Boden durch Feinsplitt
oder gebrochenen Leccaton erhöht werden.
Garten, das ist immer Versuch und Irrtum
– oder «das einzig Beständige ist die Veränderung».
Also auf zum nächsten erfolgreichen Versuch. |
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* Grueber + Co. Pflanzenschulen, 8135 Langnau |
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