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Die Fristwahrung
Teil 1: Allgemeine Grundsätze
* Marco Galli |
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Die Einhaltung von Fristen bereitet oft Schwierigkeiten. Das gilt
besonders im Mietrecht, da das Gesetz in diesem Bereich viele und
verschiedenartige Fristen vorsieht. Es lohnt sich deshalb, einen Blick
auf das Problem der Fristwahrung zu werfen. In diesem ersten Teil werden
wir die allgemeinen Grundsätze der Fristwahrung erörtern, indem
wir einige Grundsatzfragen beantworten. In einem zweiten Teil (in
einer nächsten Ausgabe) werden wir die wichtigsten mietrechtlichen
Fristen näher anschauen. |
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a) Die Fristberechnung
Wann beginnt eine Frist zu laufen?
Das fristauslösende Ereignis bestimmt den
Ausgangspunkt der Fristberechnung, wobei
der Tag, an welchem der Fristenlauf ausgelöst
wird, nicht mitgerechnet wird (Art. 77 Abs. 1
OR). Dies erklärt sich dadurch, dass, obwohl
die Frist sofort zu laufen beginnt, der erste
Tag der Frist am Tag nach dem auslösenden
Ereignis abläuft (z.B.: wenn wir heute eine
eintägige Frist setzen, wird sie erst morgen
ablaufen und deshalb gilt morgen als Tag
«eins» in der Fristberechnung!). Ein guter
Trick: Der Tag des fristauslösenden Ereignisses
kann als Tag «null» mitgezählt werden. |
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Was gilt für Willenserklärungen
(z.B. Kündigungen und Mahnungen)?
Wo die Parteien für Willenserklärungen
untereinander nichts anderes vereinbart
haben, gilt für Beginn und Wahrung von Fristen
die Empfangstheorie (auch Zugangstheorie
genannt). Danach gilt eine empfangsbedürftige
Erklärung erst als «empfangen»,
wenn sie in den Herrschafts-, Zugriffs- oder
Machtbereich des Adressaten gelangt ist. Erst
mit dem Empfang beginnt die Frist zu laufen.
Unmittelbare Erklärungen (z.B. Mitteilung
am Telefon oder persönliche Übergabe eines
Schreibens) gelten als sofort empfangen und
die Frist beginnt im Zeitpunkt der Mitteilung
bzw. der Übergabe zu laufen.
Für mittelbare Erklärungen gelten hingegen
zwei Theorien. Nach der uneingeschränkten
Empfangstheorie gilt eine empfangsbedürftige
Willenserklärung bereits
dann als zugegangen, wenn sie erstmals in
den Machtbereich des Empfängers gelangt
ist, d.h. wenn sie im Briefkasten oder Postfach
des Adressaten liegt oder – im Falle des nicht
persönlich übergebenen Einschreibens –
sobald der Adressat das Schreiben mit der im
Briefkasten vorgefundenen Abholungseinladung
erstmals bei der Poststelle abholen
kann. Diese Theorie kommt dann zur Anwendung,
wenn der Absender mit seiner Willenserklärung
eine Frist wahren muss (z.B. bei
Kündigungen oder Ausübung von Optionen).
In den übrigen Fällen (z.B. bei Mahnungen,
Beginn von Zahlungsfristen oder von Anfechtungsfristen)
gilt die eingeschränkte (oder
relative) Empfangstheorie, wonach eine
Erklärung erst in demjenigen Zeitpunkt als
zugestellt gilt, in welchem sie der Empfänger auch tatsächlich bei der Poststelle abholt. Nur
wenn er dies nicht tut, wird der Empfang
fingiert, und zwar mit dem Ablauf der
Abholfrist, welche regelmässig sieben Tage
beträgt.
Die Zustellungsfiktionen gelten jedoch
nicht, wenn der Absender weiss, dass der
Vertragspartner ohne Verschulden die Post
nicht abholen kann (z.B. im Fall eines unerwarteten
Spitalaufenthaltes; nicht aber bei
längeren Ferien, da in diesem Fall die Postleerung
organisiert werden sollte). |
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Was passiert, wenn das fristauslösende
Ereignis auf einen Samstag, Sonntag oder
einen allgemeinen Feiertag fällt?
Dies hat grundsätzlich keinen Einfluss auf
den Fristenlauf: Die Frist beginnt ungeachtet
dessen zu laufen. Ein Sonderfall ist jedoch die
Übermittlung von Willenserklärungen unter
Abwesenden (z.B. Kündigungen, Mahnungen):
Nach dem gewöhnlichen Lauf der
Dinge ist nicht damit zu rechnen, dass Briefkasten
am Sonntag geleert werden, womit
die Zustellung erst am darauf folgenden
Werktag (in der Regel Montag) als erfolgt
gilt. |
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Kann der Verlauf einer mietrechtlichen Frist
unterbrochen werden?
Das materielle Mietrecht kennt keine
ruhenden oder zu unterbrechenden Fristen:
Die Frist läuft auch während der Gerichtsferien
weiter. Im Kanton Zürich gilt das
auch für die richterlichen und Rechtsmittelfristen
des mietrechtlichen Verfahrens
(§ 140 GVG). |
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Wie wird das Ende der Frist bestimmt?
Das Gesetz sieht in Art. 77 OR einige allgemeine
Regeln zur Fristenberechnung vor.
Es gilt insbesondere: Wenn die Frist nach
Monaten bestimmt ist, fällt ihr Ende auf den denjenigen
Tag des letzten Monates, der durch
seine Zahl dem Tage des fristauslösenden
Ereignisses entspricht, und, wenn dieser Tag
in dem letzten Monat fehlt, auf den letzten
Tag dieses Monates (Art. 77 Abs. 1 Ziff. 3
OR). Es ist ferner zu beachten, dass mit einer
Frist von 30 Tagen das Gesetz genau 30 Tage
meint und nicht einen Monat. |
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Was passiert, wenn das Ende der
Frist auf einen Samstag, Sonntag oder einen
allgemeinen Feiertag fällt?
Eine Frist läuft nicht an einem Samstag,
Sonntag oder einem anderen Feiertag ab,
sondern erst am darauf folgenden Werktag
(Art. 78 OR, Bundesgesetz vom 21. Juni
1963 über den Fristenlauf an Samstagen und
§ 192 GVG). |
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b) Die Fristwahrung
Wann ist eine Frist eingehalten?
Soll eine Handlung innerhalb einer bestimmten
Frist geschehen (z.B. die Bezahlung
des Mietzinses innerhalb einer Zahlungsfrist),
so muss sie vor deren Ablauf erfolgen (Art. 77
Abs. 3 OR). Es gibt aber auch Handlungen,
die ausserhalb der Frist erfolgen müssen. Bei
diesen ist die Frist also gewährt, wenn die
Handlung nach Ablauf der Frist bzw. vor
Beginn der Frist erfolgt. Eine Nachzahlungsfrist
bei Zahlungsverzug des Mieters muss
somit vollständig abgelaufen sein, damit eine
ausserordentliche Kündigung zulässig ist, und
eine Kündigung muss vor Beginn der Kündigungsfrist
erfolgen. |
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Zu welcher Tageszeit hat die
Handlung zu erfolgen?
Die Handlung hat während der gewöhnlichen
Geschäftszeit zu erfolgen (Art. 79 OR),
d.h. im Verkehr mit Geschäften bis Ladenschluss
(etwa 17.00 Uhr) und im Verkehr mit
Privaten etwa bis 21.00 Uhr. Zur Wahrung einer behördlichen Frist genügt es, wenn die
entsprechende Eingabe vor 24.00 Uhr der
Post übergeben wird. |
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Ist der Poststempel massgebend?
Eingaben an Behörden und Gerichte gelten
als rechtzeitig erfolgt, wenn sie am Tag
des Fristablaufs eingereicht oder der schweizerischen
Post übergeben worden sind. Die
Parteien eines Mietverhältnisses können das
«Datum des Poststempels» vereinbaren,
dadurch dürfen jedoch keine gesetzlichen
Minimalfristen unterschritten werden. |
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Man hat eine Frist verpasst: Ist es jetzt endgültig
zu spät?
Vor Ablauf der Frist und bei Vorliegen
wichtiger Gründe besteht die Möglichkeit,
behördlich oder richterlich angesetzte Fristen
auf Gesuch hin erstrecken zu lassen; gesetzliche
Fristen sind hingegen in der Regel nicht
verlängerbar. Nach Ablauf der Frist besteht
die Möglichkeit, eine unverschuldet verpasste
gesetzliche oder richterliche Frist wiederherstellen
zu lassen. Das gilt jedoch nicht für
Verwirkungsfristen (z.B. Kündigungsfristen
oder die Frist zur Kündigungsanfechtung): Sie
können weder verlängert noch wiederhergestellt
werden. |
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Fazit: Aus Beweisgründen ist es empfehlenswert,
sämtliche Erklärungen per Einschreiben
zu schicken und stets eine gewisse
Zeitreserve zu den Fristen einzurechnen,
um schlimme Überraschungen zu vermeiden! |
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* lic. iur., HEV Zürich |
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