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HEV 4/2008 Inhaltsverzeichnis
Vom Bauen

     
  Erdbeben wird vor allem im Zusammenhang mit der möglichen Einführung einer obligatorischen landesweiten Erdbebenversicherung geredet. Wir möchten hier für einmal einen anderen Aspekt beleuchten: die Haftungsfrage. (Anmerkung der Redaktion)  
     
  Erdbeben:
Unsicherheit versus Sicherheit
 
  Walter Maffioletti, Rechtsanwalt SIA  
     
  Das Wortspiel deutet auf eine aktuelle Frage hin: Auch in der Schweiz ist die Erdbebengefahr das grösste Risiko unter den Naturgefahren. Alle Baubeteiligten, auch die Hauseigentümer, sind für erdbebengerechtes Bauen verantwortlich. Die Frage der Erdbebensicherheit ist in keinem Gesetz ausdrücklich geregelt. Einzig der SIA hat in den Normen SIA 261ff. und im Merkblatt SIA 2018 «Überprüfung bestehender Bauwerke bezüglich Erdbeben» Bestimmungen über Erdbebensicherheit festgelegt. Norm und Merkblatt sind als anerkannte Regeln der Baukunde zu qualifizieren und somit einzuhalten.  
     
  An einem Bauvorhaben sind viele Personen beteiligt. Grundsätzlich weiss jeder, welche Leistungen er zu erbringen und welche Pflichten er zu erfüllen hat. Insbesondere im Zusammenhang mit der Erdbebensicherheit, vor allem bei bestehenden Bauten, taucht aber die Frage der Zuständigkeit des Planers für die Einhaltung der technischen Norm auf, auch nach erfolgter Abmahnung des Bauherrn. Es darf aber nicht vergessen werden, dass der Eigentümer eines Gebäudes den Schaden zu verantworten hat, der aus seinem Gebäude hervorgeht (Art. 58 OR). Es handelt sich um eine Kausalhaftung, der Eigentümer haftet auch dann, wenn ihm objektiv keine Unsorgfalt vorgeworfen werden kann. Er kann sich nicht entlasten, indem er beweist, dass er die nötige Sorgfalt im Zusammenhang mit Werkerstellung und Werkunterhaltung aufgewendet hat. Hingegen hat er die Möglichkeit, auf andere Beteiligte Rückgriff zu nehmen, die dafür verantwortlich sind.  
     
  Anerkannte Regeln der Baukunde
für Neubauten

Es existiert keine Legaldefinition der anerkannten Regeln der Baukunde. Der Baurechtsexperte Prof. Peter Gauch hat die Voraussetzungen, unter denen eine technische Regel als «anerkannt» gilt, mit folgender «Formel» definiert: Wenn die technischen Regeln von der Wissenschaft als theoretisch richtig erkannt wurden, feststehen und sich nach einer klaren Mehrheitsmeinung der fachkompetenten Anwender in der Praxis bewährt haben, gelten sie als anerkannte Regeln der Baukunde und sind von Gesetzes wegen einzuhalten. Diese Definition ist auszulegen, da ein grosser Spielraum des Ermessens besteht. Wie Prof. Rainer Schumacher, eine Kapazität im Baurecht, betont, ist bei der Auslegung unter anderem diejenige Lösung zu wählen, die den grössten Nutzen der Allgemeinheit zum Ziel hat.
Was Neubauten anbelangt, dürfte unbestritten sein, dass die SIA-Normen (SIA 261 ff.) als anerkannte Regeln der Baukunde zu qualifizieren sind. Dies geht auch aus den meisten kantonalen Baugesetzen hervor. Die Berücksichtigung der SIA-Normen hat im Übrigen nur geringfügige Kostenfolgen bei Neubauten, dies im Gegensatz zu den bestehenden Bauten.
 
     
  Anerkannte Regeln der Baukunde
für bestehende Bauten

Der SIA hat die Akzeptierbarkeit des Individualrisikos für bestehende Bauten in seinem Merkblatt 2018 «Einwirkung auf bestehende Tragwerke» mit Hilfe einer Formel offen deklariert. Ausgangspunkt für den Entscheid, eine Erdbebensicherungsmassnahme zu treffen, ist die Gegenüberstellung von Kosten und Nutzen der Sicherungsmassnahme unter Berücksichtigung der Sicherheitsansprüche des Individuums. Diese werden auf Grund der Formel über die Akzeptierbarkeit des Individualrisikos beurteilt. Die Anzahl der durch das Versagen des betrachteten Bauwerks zu erwartenden Todesfälle fliesst in den Beurteilungsprozess und in die Formel ein. Dies führt dazu, dass die vorgesehene Benützung des Gebäudes für die Beurteilung der Frage, ob eine Erdbebensicherungsmassnahme zu treffen ist, eine wichtige Rolle spielt. Jede Situation verlangt eine konkrete Beurteilung. Heute besteht kein anderes Instrument als das Merkblatt SIA 2018, um das Erdbebenrisiko bei bestehenden Bauten zu beurteilen. Es ist naheliegend, trotz des grossen Ermessensspielraums der Gerichte, dass das Merkblatt 2018 in einem konkreten Fall als anerkannte Regel der Baukunde qualifiziert wird.
 
     
  Abmahnung und Anzeigepflicht
Die Abmahnungspflicht ist ein wichtiger Teil der Beratungspflicht des Planers. Dieser hat unaufgefordert unzweckmässige oder gar gefährliche Weisungen des Bauherrn oder Vorschläge der Dritten (z.B. Unternehmern) abzumahnen. Die Unzweckmässigkeit kann unter dem Gesichtspunkt von Bautechnik, Wirtschaftlichkeit und anderen Umständen gegeben sein. Der Planer muss den Bauherrn über die mit den Weisungen oder Vorschlägen verbundenen Risiken aufklären und ihm abraten. Zweck einer Abmahnung ist, ein anderes Verhalten vom Bauherrn oder Dritten zu bewirken, beispielsweise dass ein Auftrag zur Überprüfung der Erdbebensicherheit erteilt wird, auch wenn das ursprünglich nicht vorgesehen war. Es geht darum, den Bauherrn und/oder einen Dritten davor zu bewahren, ein Risiko einzugehen.
Die Abmahnung muss ausdrücklich erfolgen, muss somit bestimmt, klar und unmissverständlich sein. Sie muss unmissverständlich zum Ausdruck bringen, dass die Weisung des Bauherrn und/oder des Dritten aus der fachmännischen Sicht unzweckmässig oder gar falsch ist und ihre Befolgung die Interessen des Bauherrn gefährden könnte. Mit der Abmahnung setzt der Planer den Bauherrn in Kenntnis, dass er die Verantwortung ablehnt, deshalb muss die Abmahnung vom Bauherrn bzw. vom Dritten empfangen werden. Die Gültigkeit der Abmahnung durch den Planer setzt keine Schriftlichkeit voraus. Es werden aber so hohe Anforderungen an die Ausdrücklichkeit der Abmahnung gestellt, dass die Schriftform mittels eingeschriebenen Briefs auch für spätere Beweiszwecke nützlich ist. Der Planer ist in einem Prozess beweispflichtig, falls die Abmahnung bestritten wird.
Ob in Bezug auf Erdbebensicherheit eine Abmahnung notwendig ist, ist eine Frage der Sorgfaltspflicht des Planers, die in jedem einzelnen Fall konkret zu beurteilen ist. Als Beurteilungshilfe könnten die Kriterien der Augenfälligkeit und des begründeten Verdachts behilflich sein. Ein Beispiel: Wenn ein Architekt einen Teil von einem Gebäude in der Stadt Basel umbauen müsste, die bekanntlich in einer erdbebengefährdeten Zone liegt, dann sollte der Planer mit dem Bauherrn die Frage der Erdbebensicherheit thematisieren.
Wenn der Bauherr, bzw. der Dritte sich nicht davon abbringen lässt, obwohl dass Gefahr für Menschenleben besteht, dann ist eine Niederlegung des Mandats Pflicht, dürfte aber gleichzeitig auch hinreichend sein. Eine Anzeigepflicht des Planers im strafrechtlichen Sinne ist grundsätzlich nicht gegeben.
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Fall ist unabdingbar. Es kann nur dringend empfohlen werden, die SIA-Normen und das Merkblatt 2018 einzuhalten.
 
     
     
  Das Verhalten des Bauherrn im Alltag  
 
Ob ein Planer den Bauherrn auf Erdbebensicherheit wirklich aufmerksam
machen muss, ist eine Frage der Sorgfaltspflicht, die im konkreten Fall beurteilt werden muss.
Es kann keine allgemein gültige Antwort gegeben werden, eine vertiefte
Auseinandersetzung mit jedem einzelnen Fall ist unabdingbar.
Im Allgemeinen kann nur gesagt werden, dass Augenfälligkeit (Offensichtlichkeit) und begründeter Verdacht der Unsicherheit massgebend sind.
Dem Bauherrn wird wärmstens empfohlen, auf Grund seiner Werkeigentümerhaftung gemäss OR 58 und deren Folgen sowohl beim Neubau als auch beim Umbau die Frage der Erdbebensicherheit selber zu thematisieren und entsprechende Abklärungen zu veranlassen.
 
 
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