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Erdbeben wird vor allem im Zusammenhang mit der möglichen
Einführung einer obligatorischen landesweiten Erdbebenversicherung
geredet. Wir möchten hier für einmal einen anderen Aspekt beleuchten:
die Haftungsfrage. (Anmerkung der Redaktion) |
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Erdbeben:
Unsicherheit versus Sicherheit
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Walter Maffioletti, Rechtsanwalt SIA |
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Das Wortspiel deutet auf eine aktuelle Frage hin: Auch in der Schweiz
ist die Erdbebengefahr das grösste Risiko unter den Naturgefahren.
Alle Baubeteiligten, auch die Hauseigentümer, sind für erdbebengerechtes
Bauen verantwortlich. Die Frage der Erdbebensicherheit ist in
keinem Gesetz ausdrücklich geregelt. Einzig der SIA hat in den Normen
SIA 261ff. und im Merkblatt SIA 2018 «Überprüfung bestehender Bauwerke
bezüglich Erdbeben» Bestimmungen über Erdbebensicherheit
festgelegt. Norm und Merkblatt sind als anerkannte Regeln der Baukunde
zu qualifizieren und somit einzuhalten. |
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An einem Bauvorhaben sind viele Personen
beteiligt. Grundsätzlich weiss jeder,
welche Leistungen er zu erbringen und welche
Pflichten er zu erfüllen hat. Insbesondere
im Zusammenhang mit der Erdbebensicherheit,
vor allem bei bestehenden Bauten,
taucht aber die Frage der Zuständigkeit
des Planers für die Einhaltung der technischen
Norm auf, auch nach erfolgter Abmahnung
des Bauherrn. Es darf aber nicht
vergessen werden, dass der Eigentümer
eines Gebäudes den Schaden zu verantworten
hat, der aus seinem Gebäude hervorgeht
(Art. 58 OR). Es handelt sich um eine
Kausalhaftung, der Eigentümer haftet auch
dann, wenn ihm objektiv keine Unsorgfalt
vorgeworfen werden kann. Er kann sich
nicht entlasten, indem er beweist, dass er
die nötige Sorgfalt im Zusammenhang mit
Werkerstellung und Werkunterhaltung aufgewendet
hat. Hingegen hat er die Möglichkeit,
auf andere Beteiligte Rückgriff zu
nehmen, die dafür verantwortlich sind. |
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Anerkannte Regeln der Baukunde
für Neubauten
Es existiert keine Legaldefinition der
anerkannten Regeln der Baukunde. Der
Baurechtsexperte Prof. Peter Gauch hat die
Voraussetzungen, unter denen eine technische
Regel als «anerkannt» gilt, mit folgender
«Formel» definiert: Wenn die technischen
Regeln von der Wissenschaft als
theoretisch richtig erkannt wurden, feststehen und sich nach einer klaren Mehrheitsmeinung
der fachkompetenten Anwender
in der Praxis bewährt haben, gelten sie als
anerkannte Regeln der Baukunde und sind
von Gesetzes wegen einzuhalten. Diese
Definition ist auszulegen, da ein grosser
Spielraum des Ermessens besteht. Wie Prof.
Rainer Schumacher, eine Kapazität im Baurecht,
betont, ist bei der Auslegung unter
anderem diejenige Lösung zu wählen, die
den grössten Nutzen der Allgemeinheit zum
Ziel hat.
Was Neubauten anbelangt, dürfte unbestritten
sein, dass die SIA-Normen (SIA 261
ff.) als anerkannte Regeln der Baukunde zu
qualifizieren sind. Dies geht auch aus den
meisten kantonalen Baugesetzen hervor.
Die Berücksichtigung der SIA-Normen hat
im Übrigen nur geringfügige Kostenfolgen
bei Neubauten, dies im Gegensatz zu den
bestehenden Bauten. |
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Anerkannte Regeln der Baukunde
für bestehende Bauten
Der SIA hat die Akzeptierbarkeit des Individualrisikos
für bestehende Bauten in seinem
Merkblatt 2018 «Einwirkung auf bestehende
Tragwerke» mit Hilfe einer Formel
offen deklariert. Ausgangspunkt für den
Entscheid, eine Erdbebensicherungsmassnahme
zu treffen, ist die Gegenüberstellung
von Kosten und Nutzen der Sicherungsmassnahme
unter Berücksichtigung der Sicherheitsansprüche
des Individuums. Diese
werden auf Grund der Formel über die
Akzeptierbarkeit des Individualrisikos beurteilt.
Die Anzahl der durch das Versagen des
betrachteten Bauwerks zu erwartenden
Todesfälle fliesst in den Beurteilungsprozess
und in die Formel ein. Dies führt dazu, dass
die vorgesehene Benützung des Gebäudes
für die Beurteilung der Frage, ob eine Erdbebensicherungsmassnahme
zu treffen ist,
eine wichtige Rolle spielt. Jede Situation verlangt
eine konkrete Beurteilung. Heute
besteht kein anderes Instrument als das
Merkblatt SIA 2018, um das Erdbebenrisiko
bei bestehenden Bauten zu beurteilen. Es ist
naheliegend, trotz des grossen Ermessensspielraums
der Gerichte, dass das Merkblatt
2018 in einem konkreten Fall als anerkannte
Regel der Baukunde qualifiziert wird. |
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Abmahnung und Anzeigepflicht
Die Abmahnungspflicht ist ein wichtiger
Teil der Beratungspflicht des Planers. Dieser
hat unaufgefordert unzweckmässige oder
gar gefährliche Weisungen des Bauherrn
oder Vorschläge der Dritten (z.B. Unternehmern)
abzumahnen. Die Unzweckmässigkeit
kann unter dem Gesichtspunkt von
Bautechnik, Wirtschaftlichkeit und anderen
Umständen gegeben sein. Der Planer muss
den Bauherrn über die mit den Weisungen
oder Vorschlägen verbundenen Risiken aufklären
und ihm abraten. Zweck einer
Abmahnung ist, ein anderes Verhalten vom
Bauherrn oder Dritten zu bewirken, beispielsweise
dass ein Auftrag zur Überprüfung
der Erdbebensicherheit erteilt wird,
auch wenn das ursprünglich nicht vorgesehen
war. Es geht darum, den Bauherrn
und/oder einen Dritten davor zu bewahren,
ein Risiko einzugehen.
Die Abmahnung muss ausdrücklich erfolgen,
muss somit bestimmt, klar und unmissverständlich
sein. Sie muss unmissverständlich
zum Ausdruck bringen, dass die Weisung
des Bauherrn und/oder des Dritten aus
der fachmännischen Sicht unzweckmässig
oder gar falsch ist und ihre Befolgung die
Interessen des Bauherrn gefährden könnte.
Mit der Abmahnung setzt der Planer den
Bauherrn in Kenntnis, dass er die Verantwortung
ablehnt, deshalb muss die Abmahnung
vom Bauherrn bzw. vom Dritten empfangen werden. Die Gültigkeit der Abmahnung
durch den Planer setzt keine Schriftlichkeit
voraus. Es werden aber so hohe
Anforderungen an die Ausdrücklichkeit der
Abmahnung gestellt, dass die Schriftform
mittels eingeschriebenen Briefs auch für
spätere Beweiszwecke nützlich ist. Der Planer
ist in einem Prozess beweispflichtig, falls
die Abmahnung bestritten wird.
Ob in Bezug auf Erdbebensicherheit eine
Abmahnung notwendig ist, ist eine Frage
der Sorgfaltspflicht des Planers, die in jedem
einzelnen Fall konkret zu beurteilen ist. Als
Beurteilungshilfe könnten die Kriterien der
Augenfälligkeit und des begründeten Verdachts
behilflich sein. Ein Beispiel: Wenn
ein Architekt einen Teil von einem Gebäude
in der Stadt Basel umbauen müsste, die
bekanntlich in einer erdbebengefährdeten
Zone liegt, dann sollte der Planer mit dem
Bauherrn die Frage der Erdbebensicherheit
thematisieren.
Wenn der Bauherr, bzw. der Dritte sich
nicht davon abbringen lässt, obwohl dass
Gefahr für Menschenleben besteht, dann
ist eine Niederlegung des Mandats Pflicht,
dürfte aber gleichzeitig auch hinreichend
sein. Eine Anzeigepflicht des Planers im
strafrechtlichen Sinne ist grundsätzlich nicht
gegeben.
Eine vertiefte Auseinandersetzung mit
jedem einzelnen Fall ist unabdingbar. Es
kann nur dringend empfohlen werden, die
SIA-Normen und das Merkblatt 2018 einzuhalten. |
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Das Verhalten des Bauherrn im Alltag |
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Ob ein Planer den Bauherrn auf Erdbebensicherheit
wirklich aufmerksam
machen muss, ist eine Frage der Sorgfaltspflicht,
die im konkreten Fall beurteilt
werden muss. |
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Es kann keine allgemein gültige Antwort
gegeben werden, eine vertiefte
Auseinandersetzung mit jedem einzelnen
Fall ist unabdingbar. |
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Im Allgemeinen kann nur gesagt werden,
dass Augenfälligkeit (Offensichtlichkeit)
und begründeter Verdacht
der Unsicherheit massgebend sind. |
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Dem Bauherrn wird wärmstens empfohlen,
auf Grund seiner Werkeigentümerhaftung
gemäss OR 58 und
deren Folgen sowohl beim Neubau
als auch beim Umbau die Frage der
Erdbebensicherheit selber zu thematisieren
und entsprechende Abklärungen
zu veranlassen. |
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