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Mit PD Dr. Hardy Landolt* sprach lic. iur. Tiziano Winiger, HEV Zürich |
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Hindernisfreier Wohnungsbau sollte in der heutigen Zeit eigentlich
eine Selbstverständlichkeit sein. Eine ständig wachsende Zahl älterer
Menschen ist nämlich auf hindernisfreien Wohnraum angewiesen.
Es betrifft also früher oder später jeden von uns. |
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Die erfreulichen Fortschritte der Medizin
und der Rehabilitation ermöglichen es
heute auch Menschen, die nicht mehr im
vollen Besitz ihrer körperlichen Kräfte sind,
selbstständig oder mit der Familie zu wohnen.
Eine minimale Behindertengerechtigkeit,
Besuchereignung und Anpassbarkeit
sollte zum Normalstandard werden. Dennoch
schliessen immer wieder bauliche Barrieren
behinderte und ältere Menschen aus
und diskriminieren diese.
Die funktionalen Anforderungen, die ein
Gebäude erfüllen muss, ergeben sich
hauptsächlich aus dessen Zweckbestimmung.
Sinnvoll ist eine Unterscheidung der
Anforderungen nach vier Kategorien: Bauten
mit Publikumsverkehr, Wohnbauten,
Bauten mit Arbeitsplätzen und Sonderbauten.
Bauten mit Publikumsverkehr müssten
einen allgemeinen behindertengerechten
Standard aufweisen. Wohnbauten müssten
eine minimale Eignung aufweisen und bei
Bedarf individuell für behinderte Menschen
angepasst werden können. Die Mindestanforderungen
für Behinderte und Betagte
sind in der Schweizer Norm SN 521 500
«Behindertengerechtes Bauen» definiert. Das Konzept für einen hindernisfreien und anpassbaren
Wohnungsbau basiert auf der
Rollstuhlgängigkeit als wichtigstem Massstab,
aus welchem sich drei Grundanforderungen
ergeben: |
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Keine Stufe (vertikale Barrieren)
Wo immer möglich sind Stufen zu vermeiden
oder zu beseitigen. Wo auf Absätze
oder Schwellen nicht verzichtet werden
kann (Haus, Balkon- oder Wohnungstüren),
darf die Höhe maximal 2,5 cm betragen.
Das Gefälle von Rampen soll in der Regel
max. 6% betragen und, wo mit Hilfspersonen
gerechnet werden kann, 12%. |
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Ausreichende Durchgangsbreite
(horizontale Barrieren)
Raum-, Tür- und Korridorbreiten müssen
so dimensioniert sein, dass der Durchgang
auch mit Hilfsmitteln wie Rollstuhl,
Krücken oder Gehhilfen gewährleistet ist.
Für den horizontalen Platzbedarf ist die
Breite eines Standardrollstuhles massgebend
(0,65–0,70 cm). |
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Ausreichende Bewegungsfreiheit
(räumliche Hindernisse)
Alle Wohnungen sollten mindestens die
Besuchseignung gewährleisten. Inbesondere
bei Räumen wie WC, Bad oder Küche
hängt die Benutzbarkeit von der Grösse und
von der zweckdienlichen Anordnung und
Einrichtung ab.
Der Umfang der genügenden Durchgangsbreite
und der Bewegungsfläche wird
im Detail in der Broschüre «Wohnungsbau
hindernisfrei – anpassbar» der Schweizerischen
Fachstelle für behindertengerechtes
Bauen geschildert.
Professor Dr. Hardy Landolt nahm aus
der Perspektive eines betroffenen Rollstuhlfahrers
zu verschiedenen Teilaspekten
des hindernisfreien Wohnungsbaus Stellung.
Auf die Frage, inwieweit ein Bedürfnis
nach einer behindertengerechten Umwelt
besteht, sagte er: «Aus der Betroffenenperspektive
ist das Bedürfnis für eine behindertengerechte
Umwelt offensichtlich. Bauliche
Barrieren sind für einen Rollstuhlfahrer ein
unnötiges Hindernis sowohl im privaten,
beruflichen als auch gesellschaftlichen
Leben. Man mag einwenden, dass die Rollstuhlfahrer
einen kleinen Teil der Bevölkerung
ausmachen. Doch wird dabei vergessen,
dass eine behindertengerechte Umwelt
nicht nur den Behinderten, sondern auch
Nichtbehinderten dient. Denken Sie nur an
die Betagten sowie die Mütter und Väter
mit Kinderwagen. Es kommt hinzu, dass
nach allen verfügbaren demografischen
Szenarien die schweizerische Bevölkerung
im Verlauf der nächsten Jahre und Jahrzehnte
älter werden wird. Entsprechend wird sich
die Anzahl der Betagten vergrössern.»
Stellung nahm der Dozent auch auf die
Frage, welche gesetzlichen Vorgaben in diesem
Bereich bestehen: «Der Bund hat
gestützt auf das verfassungsmässige Diskriminierungsverbot
und Egalisierungsgebot in
Artikel 8 der Bundesverfassung das Behindertengleichstellungsgesetz
(BehiG) erlassen,
welches seit dem 1. Januar 2004 in
Kraft ist. Es gilt u.a. für öffentlich zugängliche
Bauten und Anlagen sowie Einrichtungen
des öffentlichen Verkehrs (Bauten,
Anlagen, Kommunikationssysteme, Billettbezug
etc.), private Wohngebäude mit
mehr als acht Wohneinheiten und Gebäude
mit mehr als 50 Arbeitsplätzen, für welche
nach Inkrafttreten des BehiG eine Bewilligung
erteilt wird.
Diese Bauten sind im Rahmen der Verhältnismässigkeit
behindertengerecht zu erstellen.
Nach Art. 11 BehiG ist die Verhältnismässigkeit zu bejahen, wenn der Aufwand
für die Anpassung 5 Prozent des
Gebäudeversicherungswertes beziehungsweise
des Neuwerts der Anlage oder
20 Prozent der Erneuerungskosten nicht
übersteigt. Das BehiG steht weitergehenden
Bestimmungen der Kantone zu Gunsten des
behindertengerechten Bauens nicht entgegen,
weshalb das kantonale Baurecht weitergehende
Vorschriften vorsieht, insbesondere
auch eine Pflicht auferlegen kann,
bestehende bauliche Barrieren zu beseitigen.
Die kantonalen Vorschriften sind dabei
sehr unterschiedlich.»
Auf die Frage, ob dieser Schutz genüge
oder ob andere Massnahmen denkbar oder
sogar notwendig seien, sagte Dr. Landolt:
«Ungenügend ist einerseits, dass bestehende
bauliche Barrieren bei öffentlich zugänglichen
Bauten und Anlagen nicht so wie
die Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs
innert zwanzig Jahren anzupassen
sind und andererseits im privaten Wohnungsbereich
nicht vermehrt darauf geachtet
wird, unnötige bauliche Barrieren zu
verhindern. Gewiss muss und soll nicht jedes
private Wohngebäude behindertengerecht
sein. Doch ist nicht einzusehen,
weshalb der private Bauherr unnötige Hindernisse
erstellt, deren Beseitigung und
Anpassung später von der Invalidenversicherung
bezahlt werden muss, wenn dieser
Bauherr oder ein anderer Bewohner behindert
oder betagt wird. Der Standard ‹anpassbares
Bauen› ist einfach zu realisieren und
kostet praktisch nichts. Es kommt hinzu,
dass die nachträgliche Anpassung rund eineinhalb
Mal so viel wie die Einplanung des
hindernisfreien Bauens von Anfang an
kostet.»
Zur Frage, ob eine behindertengerechte
Umwelt unästhetisch sei, antwortete er:
«Jeder von uns urteilt anders über Ge- oder
Missfallen der baulichen Umwelt. Die moderne
Architektur gefällt den einen, die
anderen finden sie scheusslich. Das Gleiche
gilt für das behindertengerechte Bauen,
wenn es sichtbar in Erscheinung tritt, was
nicht zwingend der Fall sein muss. Vor allem
bei Neubauten können nämlich in der Regel
besondere Einrichtungen für Behinderte in
den Bau integriert werden und sind dann
‹unsichtbar›. Bei einer nachträglichen
‹Nachrüstung› kann es vorkommen, dass
Rampen oder Liftanbauten sichtbar werden
und sich vom übrigen Gebäude abheben,
was sicherlich Probleme bei denkmalgeschützten
Gebäuden schafft. Für das ästhetische
Auge gewöhnungsbedürftig sind
auch behindertengerechte WCs mit den
Haltegriffen und -stangen sowie dem sonstigen
Zubehör. Grosso modo hängt das
ästhetische Gelingen aber oft nicht vom
behindertengerechten Bauen an sich, sondern
vom Planer und von dessen Geschick
und Können ab.»
Ob gehbehindertengerechtes Bauen
wertvermindernd oder wertvermehrend sei,
beurteilt Dr. Landolt wie folgt: «Gemäss
dem Forschungsprojekt ‹Behindertengerechtes
Bauen – Vollzugsprobleme im Planungsprozess›
fallen Kosten in der Höhe
von 1,8% der Bausumme an, wenn ein
Neubau von Beginn weg hindernisfrei
geplant und gebaut wird. Im Einzelnen können
die Zahlen stark variieren: Während die
Mehrkosten bei kleinen öffentlich zugänglichen
Bauten (Bausumme unter 2 Mio.)
bis 3,5% betragen können, fallen sie
bei grösseren Projekten (Bausumme über
5 Mio.) unter ein halbes Prozent. Weit
geringere Kosten entstehen, wenn das
Wohngebäude anpassbar gebaut wird.
Wenn ein Gebäude erneuert und gleichzeitig
hindernisfrei gemacht wird, dann verursacht
dies im Mittel Kosten von 3,5% des Gebäudewerts. Die Kosten hängen auch
hier stark von der Grösse und der Art des
Gebäudes ab. Der Gegenwert zu diesen
Kosten lässt sich schlecht beziffern. Die
Benutzbarkeit durch alle hat mehr mit effizienter
Mittelverwendung als mit einem
Mehrwert zu tun, was volkswirtschaftlich
einen Vorteil darstellt. Volkswirtschaftlich ist
es zudem ein Blödsinn, die Gebäude
nachträglich umzubauen, da dadurch eineinhalb
Mal höhere Kosten entstehen. Von
diesen volkswirtschaftlichen Vorteilen profitiert
der Investor aber nur indirekt. Für ihn
stellt sich deshalb die Frage, warum er
‹Mehrkosten› auf sich nehmen soll. Im Hinblick
auf die demografischen Veränderungen
bzw. den markanten Anstieg des Anteils
der älteren Bevölkerung wird die Nachfrage
nach behindertengerechtem Wohnraum in
Zukunft steigen, nicht zuletzt, wenn der
Staat weiter bei der IV spart und die
Umbaukosten nicht mehr trägt. Dannzumal
werden, davon bin ich überzeugt, die Investoren
im Vorteil sein, die barrierefreien
Wohnraum zur Miete oder zum Kauf anbieten
können. Getreu den Marktgesetzen
wird der Nachfrager bereit sein, einen höheren
Preis für diesen ‹Mehrnutzen› zu bezahlen.
Bei einem langfristigen Renditedenken
ist das behindertengerechte und in jedem
Fall das anpassbare Bauen ein ‹Mehrwert›.
Bereits heute wird in Anzeigen mit diesem
‹Mehrwert› geworben. Wer ohnehin für sich
selbst baut, ist schlicht nur dumm, wenn er
sich beim Bau seines Wohntraums bauliche
Barrieren für das Alter errichtet, die er dann
wieder beseitigen muss oder er ins teure
Altersheim umziehen muss.» |
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