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HEV 9/2008 Inhaltsverzeichnis
Vom Bauen

         
  Hindernisfreier
Wohnungsbau
  Treppenaufgang  
     
  Mit PD Dr. Hardy Landolt* sprach lic. iur. Tiziano Winiger, HEV Zürich  
     
  Hindernisfreier Wohnungsbau sollte in der heutigen Zeit eigentlich eine Selbstverständlichkeit sein. Eine ständig wachsende Zahl älterer Menschen ist nämlich auf hindernisfreien Wohnraum angewiesen. Es betrifft also früher oder später jeden von uns.  
     
  Die erfreulichen Fortschritte der Medizin und der Rehabilitation ermöglichen es heute auch Menschen, die nicht mehr im vollen Besitz ihrer körperlichen Kräfte sind, selbstständig oder mit der Familie zu wohnen. Eine minimale Behindertengerechtigkeit, Besuchereignung und Anpassbarkeit sollte zum Normalstandard werden. Dennoch schliessen immer wieder bauliche Barrieren behinderte und ältere Menschen aus und diskriminieren diese.
Die funktionalen Anforderungen, die ein Gebäude erfüllen muss, ergeben sich hauptsächlich aus dessen Zweckbestimmung. Sinnvoll ist eine Unterscheidung der Anforderungen nach vier Kategorien: Bauten mit Publikumsverkehr, Wohnbauten, Bauten mit Arbeitsplätzen und Sonderbauten. Bauten mit Publikumsverkehr müssten einen allgemeinen behindertengerechten Standard aufweisen. Wohnbauten müssten eine minimale Eignung aufweisen und bei Bedarf individuell für behinderte Menschen angepasst werden können. Die Mindestanforderungen für Behinderte und Betagte sind in der Schweizer Norm SN 521 500 «Behindertengerechtes Bauen» definiert. Das Konzept für einen hindernisfreien und anpassbaren Wohnungsbau basiert auf der Rollstuhlgängigkeit als wichtigstem Massstab, aus welchem sich drei Grundanforderungen ergeben:
 
     
  Keine Stufe (vertikale Barrieren)
Wo immer möglich sind Stufen zu vermeiden oder zu beseitigen. Wo auf Absätze oder Schwellen nicht verzichtet werden kann (Haus, Balkon- oder Wohnungstüren), darf die Höhe maximal 2,5 cm betragen. Das Gefälle von Rampen soll in der Regel max. 6% betragen und, wo mit Hilfspersonen gerechnet werden kann, 12%.
 
     
  Ausreichende Durchgangsbreite
(horizontale Barrieren)
Raum-, Tür- und Korridorbreiten müssen so dimensioniert sein, dass der Durchgang auch mit Hilfsmitteln wie Rollstuhl, Krücken oder Gehhilfen gewährleistet ist. Für den horizontalen Platzbedarf ist die Breite eines Standardrollstuhles massgebend (0,65–0,70 cm).
 
     
  Ausreichende Bewegungsfreiheit
(räumliche Hindernisse)
Alle Wohnungen sollten mindestens die Besuchseignung gewährleisten. Inbesondere bei Räumen wie WC, Bad oder Küche hängt die Benutzbarkeit von der Grösse und von der zweckdienlichen Anordnung und Einrichtung ab.
Der Umfang der genügenden Durchgangsbreite und der Bewegungsfläche wird im Detail in der Broschüre «Wohnungsbau hindernisfrei – anpassbar» der Schweizerischen Fachstelle für behindertengerechtes Bauen geschildert.
Professor Dr. Hardy Landolt nahm aus der Perspektive eines betroffenen Rollstuhlfahrers zu verschiedenen Teilaspekten des hindernisfreien Wohnungsbaus Stellung.
Auf die Frage, inwieweit ein Bedürfnis nach einer behindertengerechten Umwelt besteht, sagte er: «Aus der Betroffenenperspektive ist das Bedürfnis für eine behindertengerechte Umwelt offensichtlich. Bauliche Barrieren sind für einen Rollstuhlfahrer ein unnötiges Hindernis sowohl im privaten, beruflichen als auch gesellschaftlichen Leben. Man mag einwenden, dass die Rollstuhlfahrer einen kleinen Teil der Bevölkerung ausmachen. Doch wird dabei vergessen, dass eine behindertengerechte Umwelt nicht nur den Behinderten, sondern auch Nichtbehinderten dient. Denken Sie nur an die Betagten sowie die Mütter und Väter mit Kinderwagen. Es kommt hinzu, dass nach allen verfügbaren demografischen Szenarien die schweizerische Bevölkerung im Verlauf der nächsten Jahre und Jahrzehnte älter werden wird. Entsprechend wird sich
die Anzahl der Betagten vergrössern.»
Stellung nahm der Dozent auch auf die Frage, welche gesetzlichen Vorgaben in diesem Bereich bestehen: «Der Bund hat gestützt auf das verfassungsmässige Diskriminierungsverbot und Egalisierungsgebot in Artikel 8 der Bundesverfassung das Behindertengleichstellungsgesetz (BehiG) erlassen, welches seit dem 1. Januar 2004 in Kraft ist. Es gilt u.a. für öffentlich zugängliche Bauten und Anlagen sowie Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs (Bauten, Anlagen, Kommunikationssysteme, Billettbezug etc.), private Wohngebäude mit mehr als acht Wohneinheiten und Gebäude mit mehr als 50 Arbeitsplätzen, für welche nach Inkrafttreten des BehiG eine Bewilligung erteilt wird.
Diese Bauten sind im Rahmen der Verhältnismässigkeit behindertengerecht zu erstellen. Nach Art. 11 BehiG ist die Verhältnismässigkeit zu bejahen, wenn der Aufwand für die Anpassung 5 Prozent des Gebäudeversicherungswertes beziehungsweise des Neuwerts der Anlage oder 20 Prozent der Erneuerungskosten nicht übersteigt. Das BehiG steht weitergehenden Bestimmungen der Kantone zu Gunsten des behindertengerechten Bauens nicht entgegen, weshalb das kantonale Baurecht weitergehende Vorschriften vorsieht, insbesondere auch eine Pflicht auferlegen kann, bestehende bauliche Barrieren zu beseitigen. Die kantonalen Vorschriften sind dabei sehr unterschiedlich.»
Auf die Frage, ob dieser Schutz genüge oder ob andere Massnahmen denkbar oder sogar notwendig seien, sagte Dr. Landolt: «Ungenügend ist einerseits, dass bestehende bauliche Barrieren bei öffentlich zugänglichen Bauten und Anlagen nicht so wie die Einrichtungen des öffentlichen Verkehrs innert zwanzig Jahren anzupassen sind und andererseits im privaten Wohnungsbereich nicht vermehrt darauf geachtet wird, unnötige bauliche Barrieren zu verhindern. Gewiss muss und soll nicht jedes private Wohngebäude behindertengerecht sein. Doch ist nicht einzusehen, weshalb der private Bauherr unnötige Hindernisse erstellt, deren Beseitigung und Anpassung später von der Invalidenversicherung bezahlt werden muss, wenn dieser Bauherr oder ein anderer Bewohner behindert oder betagt wird. Der Standard ‹anpassbares Bauen› ist einfach zu realisieren und kostet praktisch nichts. Es kommt hinzu, dass die nachträgliche Anpassung rund eineinhalb Mal so viel wie die Einplanung des hindernisfreien Bauens von Anfang an kostet.»
Zur Frage, ob eine behindertengerechte Umwelt unästhetisch sei, antwortete er: «Jeder von uns urteilt anders über Ge- oder Missfallen der baulichen Umwelt. Die moderne Architektur gefällt den einen, die anderen finden sie scheusslich. Das Gleiche gilt für das behindertengerechte Bauen, wenn es sichtbar in Erscheinung tritt, was nicht zwingend der Fall sein muss. Vor allem bei Neubauten können nämlich in der Regel besondere Einrichtungen für Behinderte in den Bau integriert werden und sind dann ‹unsichtbar›. Bei einer nachträglichen ‹Nachrüstung› kann es vorkommen, dass Rampen oder Liftanbauten sichtbar werden und sich vom übrigen Gebäude abheben, was sicherlich Probleme bei denkmalgeschützten Gebäuden schafft. Für das ästhetische Auge gewöhnungsbedürftig sind auch behindertengerechte WCs mit den Haltegriffen und -stangen sowie dem sonstigen Zubehör. Grosso modo hängt das ästhetische Gelingen aber oft nicht vom behindertengerechten Bauen an sich, sondern vom Planer und von dessen Geschick und Können ab.»
Ob gehbehindertengerechtes Bauen wertvermindernd oder wertvermehrend sei, beurteilt Dr. Landolt wie folgt: «Gemäss dem Forschungsprojekt ‹Behindertengerechtes Bauen – Vollzugsprobleme im Planungsprozess› fallen Kosten in der Höhe von 1,8% der Bausumme an, wenn ein Neubau von Beginn weg hindernisfrei geplant und gebaut wird. Im Einzelnen können die Zahlen stark variieren: Während die Mehrkosten bei kleinen öffentlich zugänglichen Bauten (Bausumme unter 2 Mio.) bis 3,5% betragen können, fallen sie bei grösseren Projekten (Bausumme über 5 Mio.) unter ein halbes Prozent. Weit geringere Kosten entstehen, wenn das Wohngebäude anpassbar gebaut wird. Wenn ein Gebäude erneuert und gleichzeitig hindernisfrei gemacht wird, dann verursacht dies im Mittel Kosten von 3,5% des Gebäudewerts. Die Kosten hängen auch hier stark von der Grösse und der Art des Gebäudes ab. Der Gegenwert zu diesen Kosten lässt sich schlecht beziffern. Die Benutzbarkeit durch alle hat mehr mit effizienter Mittelverwendung als mit einem Mehrwert zu tun, was volkswirtschaftlich einen Vorteil darstellt. Volkswirtschaftlich ist es zudem ein Blödsinn, die Gebäude nachträglich umzubauen, da dadurch eineinhalb Mal höhere Kosten entstehen. Von diesen volkswirtschaftlichen Vorteilen profitiert der Investor aber nur indirekt. Für ihn stellt sich deshalb die Frage, warum er ‹Mehrkosten› auf sich nehmen soll. Im Hinblick auf die demografischen Veränderungen bzw. den markanten Anstieg des Anteils der älteren Bevölkerung wird die Nachfrage nach behindertengerechtem Wohnraum in Zukunft steigen, nicht zuletzt, wenn der Staat weiter bei der IV spart und die Umbaukosten nicht mehr trägt. Dannzumal werden, davon bin ich überzeugt, die Investoren im Vorteil sein, die barrierefreien Wohnraum zur Miete oder zum Kauf anbieten können. Getreu den Marktgesetzen wird der Nachfrager bereit sein, einen höheren Preis für diesen ‹Mehrnutzen› zu bezahlen. Bei einem langfristigen Renditedenken ist das behindertengerechte und in jedem Fall das anpassbare Bauen ein ‹Mehrwert›. Bereits heute wird in Anzeigen mit diesem ‹Mehrwert› geworben. Wer ohnehin für sich selbst baut, ist schlicht nur dumm, wenn er sich beim Bau seines Wohntraums bauliche Barrieren für das Alter errichtet, die er dann wieder beseitigen muss oder er ins teure Altersheim umziehen muss.»
 
       
  * Dr. Hardy Landolt LL.M., Rechtsanwalt und Notar, ist Lehrbeauftragter an der Universität St. Gallen für Haftungs- sowie Privat- und Sozialversicherungsrecht.  
   
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