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Woher kommt unser Nachbarrecht?
Nach der Schaffung des Bundesstaates im
Jahre 1948 war das Privatrecht zunächst eine
rein kantonale Angelegenheit. Erst mit der
Revision der Bundesverfassung von 1874
erhielt der Bund eine umfassende Kompetenz
zur Regelung des Privatrechts. Dieser überliess
dann in gewissen Bereichen eine Restkompetenz
den Kantonen. Darum können
die Kantone noch heute beispielsweise verschiedene
Grenzabstände für Pflanzen vorsehen
(Art. 688 ZGB). Die Rechtssetzungsbefugnis
kann durch das kantonale Recht an
die Gemeinden weiterdelegiert werden. |
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Warum ein öffentlich-rechtliches neben dem
privatrechtlichen Nachbarrecht?
Ursprünglich stammte das Nachbarrecht
aus einer Zeit weitgehend landwirtschaftlicher
Bodennutzung. Zur Erleichterung der
Acker- und Viehbewirtschaftung wurden
Rechte geschaffen, wie die Tränk-, Brachund
Winterwegrechte, die seither an Aktualität
eingebüsst haben. Die rasante technische,
wirtschaftliche und gesellschaftliche
Entwicklung führte zu ganz neuen Bedürfnissen
und löste eine explosionsartige Inflation
an Normen des öffentlich-rechtlichen Nachbarrechts
aus. Diese sind gewissermassen als
schützende Antwort zu Gunsten der Allgemeinheit
auf diese rasante technische Evolution
zu verstehen. Diese Normen betrafen das
Bauwesen, die Gesundheitspflege, die Feuerpolizei
und den gesamten Umweltbereich
(UWG). Die Lärmschutzverordnung des
Bundes (LSV) als Ausführungserlass zum Umweltschutzgesetz des Bundes (USG) enthält
zum Beispiel Vorschriften betreffend den
zulässigen Lärmpegel ortsfester Anlagen und
diesen gleichgestellter Geräte (Baumaschinen,
Schiessanlagen, Kinderspielplätze, Kaffeehäuser,
Kirchenglocken). Bei der Baubewilligungserteilung
muss die zuständige Behörde
bereits für eine Lärm verursachende Anlage
darauf achten, dass die konkreten Belastungsgrenzen
der LSV eingehalten werden.
Der Nachbar kann schon zu diesem Zeitpunkt
eine Einsprache geltend machen und gegen
die Baubewilligung rekurrieren. Auch die
Luftreinhalteverordnung (LRV) von Bund
und Kantonen hat Auswirkungen auf das
zulässige Ausmass der Grundstücknutzung
und die daraus resultierenden Immissionen.
Vorgesehen sind unter anderem Vorschriften
über die Gebäudebeheizung. Das eidgenössische
Gewässerschutzgesetz (GSG) wiederum
enthält die Pflicht, bei Autoeinstellplatzgaragen
diese mit Benzinabscheidern zu versehen. |
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Was unterscheidet das öffentlich-rechtliche
vom privatrechtlichen Nachbarrecht?
Die privatrechtlichen Nachbarrechtsnormen
regeln die nachbarschaftlichen Rechtsverhältnisse
und schützen konkret den einzelnen
Grundeigentümer. Diese Normen können
vertraglich abgeändert oder aufgehoben
werden. Die Verletzung von privatrechtlichen
Vorschriften erfolgt in der Regel klageweise
vor Zivilgerichten und der Kläger muss
die Rechts- und Interessenverletzung beweisen.
Die öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen
dienen hingegen den Interessen
der Allgemeinheit und sind normalerweise
zwingenden Charakters. Ihre Abänderung,
falls überhaupt zulässig, bedarf der behördlichen
Zustimmung. Die Einhaltung von
öffentlich-rechtlichen Eigentumsbeschränkungen
kann durch jeden Bürger angerufen
werden. Für die Einhaltung der Abstandsvorschriften
von Pflanzen von Strassen oder für
die Einhaltung der Umweltbestimmungen ist
der Verwaltungsrechtsweg einzuschlagen
und die Geltendmachung der Verletzung von
persönlichen Interessen ist dabei nicht erforderlich.
Die Behörde muss von Amtes wegen
die öffentlich-rechtlichen Vorschriften einhalten
und durchsetzen. |
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Wie harmonieren öffentlich-rechtliches und
privatrechtliches Nachbarrecht zusammen?
Die Behörden haben auf die Harmonisierung
des Immissionsschutzes hinzuwirken.
Im Zusammenhang mit Lärmimmissionen
beispielsweise, für welche die Anhänge zur
Lärmschutzverordnung (LSV) Belastungsgrenzwerte
vorschreiben, sind bei der Beurteilung
des privatrechtlich zu duldenden Masses
die öffentlich-rechtlichen Belastungsgrenzen
heranzuziehen. |
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